Ich pflege: Ernst Joachim Eckerle (56)

„Angehörige gehören bei der Pflegestufe miteingepreist“

(Foto: privat)

Name: Ernst Joachim Eckerle
Alter: 56 Jahre
Beruf: Altenpfleger
Pflegeumfeld: Gerontopsychatrische Tagespflege
Pflegt seit: 2011

 

 

 

Sie sind Späteinsteiger. Wie sind Sie zur Pflege gekommen?

Über 30 Jahre lang war ich Journalist. Im Alter von 50 Jahren musste ich mir eingestehen, dass ich beruflich in einer Sackgasse stecke. Zum Leben habe ich zu wenig verdient. Deshalb habe ich mich umorientiert und die Ausbildung zum Altenpfleger gemacht. Im nächsten Jahr möchte ich mich zur gerontopsychatrischen Fachkraft ausbilden lassen.

Was begeistert Sie an der Pflege?

Wenn ich pflegebedürftige Menschen versorge, motiviert mich der gesellschaftliche Nutzen. Außerdem arbeite ich gerne mit demenziell Veränderten. Die wohnen in ihrer eigenen kleinen Welt, in einer Art Zeitkapsel. Trotzdem teilen sie sich uns auf ihre eigene Art mit. Ich freue mich, wenn ich ihre Botschaften entschlüsseln kann.

Wie kann so eine verschlüsselte Botschaft konkret aussehen?

Eine Dame kommt zur Tagespflege zu uns. Immer wieder überkommt sie mittags ein unbändiger Bewegungsdrang. Dann tigert sie unruhig auf und ab. Auf Beobachter wirkt das seltsam, aber ich habe irgendwann verstanden: Sie sehnt sich nach Beschäftigung. Doch ihre Demenz hindert sie, einen Spaziergang zu unternehmen oder sich mit ihren Enkeln zu verabreden. Ihre überschüssige Energie setzte sie durch zielloses Herumlaufen um.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe sie in unseren Ruheraum gebracht und zur basalen Stimulation den Kopf massiert. Die rastlose Frau beruhigte sich nach einigen Minuten und schlief schließlich ein. Sowas klappt nicht immer. Im Umgang mit demenziell veränderten Menschen gibt es kein Patentrezept. Aber sie spüren Emotionen und reagieren auf Zuwendungen. Pflegekräfte benötigen daher eine gute Beobachtungsgabe, um die Bedürfnisse der Bewohner zu erkennen. Und viel Empathie, um sie emotional zu erreichen.

Sie haben ihre Beobachtungsgabe genannt. Hilft Ihnen Ihre journalistische Ausbildung in der Pflege?

Durch den Journalismus habe ich gelernt, mit verschiedenen Menschentypen aus unterschiedlichen Milieus umzugehen. In der Pflege wohnt der ehemalige Vorstandsvorsitzenden möglicherweise Tür an Tür mit dem ehemaligen Obdachlosen. Zwei andersgeartete Charaktere, die ich ganz entgegengesetzt ansprechen muss. Das gilt natürlich auch für die jeweiligen Angehörigen…

Was ist mit den Angehörigen?

Angehörigen gehören bei der Pflegestufe miteingepreist (lacht). Manche stehen ständig auf der Matte. Sie suchen Rat oder fordern Extrawünsche ein. Andere kommen überhaupt nicht zu Besuch. Bei allem Verständnis für deren Sorgen können Gespräche mit Angehörigen genauso aufwändig sein, wie die Versorgung der Pflegebedürftigen. Und andere Angehörige melden sich nicht mal, wenn medizinische Entscheidungen getroffen werden müssen.
Außenstehende unterschätzen, wie feinfühlig und vielfältig Pflegekräfte kommunizieren müssen. In der ambulanten Pflege nehmen Pflegekräfte eine Beraterrolle ein. Zum Beispiel bei Themen wie Sicherheit oder Sturzprävention. Pflege ist eben mehr als nur den Toilettenstuhl leeren.

Gibt es Erfolgserlebnisse, an die Sie besonders gerne zurückdenken?

Erfolgserlebnisse gibt es häufig. Das kann die Bewilligung eines Rollstuhls sein, für den wir lange gekämpft habe. Eigentlich nur ein Stück Metall auf Rädern, aber für unsere Bewohner der Schlüssel, um selbstbestimmter leben zu können. Oder ich sehe, wie Bewohner, die bettlägerig zu uns gekommen sind, mit ihrem Rollator spazieren gehen. Solche Momente machen mich zufrieden.

Oft höre ich Geschichten von Pflegebedürftigen, die im Seniorenheim vereinsamen…

Im Gegenteil, viele alte Menschen versinken im heimischen Umfeld im Chaos. Ihnen fehlt ein fester Tagesrhythmus und sie drohen zu verwahrlosen. Das Leben allein überfordert sie. Solche Pflegebedürftige profitieren von der Gemeinschaft im Seniorenheim, den Betreuungsangeboten und von der festen Tagesstruktur. Die blühen bei uns richtig auf und lernen das Leben wieder zu lieben. Übrigens, oft überfordert sich auch die pflegende Familie.

Haben Sie keine Angst, irgendwann selbst im Altenheim zu landen?

Das Pflegeheim als Vorhölle, dieses weitverbreitete Bild teile ich nicht. Für Viele ist das Leben im Heim eine reine Horrorvorstellung. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren in der Pflege viel getan. Allein durch den zunehmenden Konkurrenzdruck der Anbieter. Auch die Ansprüche von Bewohnern und Angehörigen sind gestiegen. Ich bin überzeugt, es wird sich noch mehr verbessern. Spätestens wenn die sogenannte 68er Generation pflegebedürftig wird. Die bringen noch mal ganz andere Vorstellungen vom guten Leben im Alter in die Einrichtungen.