Sexualbegleiter im Altersheim

Wie auf Wolke 7: Bei Sexualität im Alter geht es oft um Nähe und Berührung. (Foto: Fotolia)

Wie Tabus brechen

Erotik im Alter – zwei Tabuthemen treffen bei Gabriele Paulsen aufeinander. Die 48-Jährige hat vor knapp einem Jahr das Internetportal Nessita eröffnet. Auf ihm finden Senioren ein Dutzend Sexualbegleiter in ganz Deutschland. Doch was seit Juni vergangenen Jahres mit dem Onlinegehen der Webseite bei der Hamburger Agentur abgeht, nennt sie mit einem Augenzwinkern „Telefonansturm“. Täglich rufen Menschen bei der gelernten Krankenschwester, Qualitätsmanagerin und Unternehmensberaterin an, um ihren Informationshunger zur Sexualität im Seniorenalter und im Altersheim zu stillen.

Gabriele Paulsen: „Es geht nicht um den reinen Sex.“ (Foto: Andreas Vallbracht )

Bedürfnisse aller Art

„Es ist alles dabei“, sagt die Geschäftsfrau: Von der Tochter, die ihrem verwitweten Vater helfen möchte, seinem Bedürfnis nach Berührung nachzukommen, über die Pflegekraft, die einem Heimbewohner ein Pornoheft besorgen möchte, sich aber nicht traut, es ihrem Chef zu erzählen. Bis hin zum rüstigen Rentner, der gerne mal wieder eine „schöne Frau anfassen möchte“ oder dem Vormund, der wissen will, ob es sich bei Nessita um ein prostitutionsähnliches Angebot handele.

30 Jahre Aufklärung

Herauskristallisiert hat sich laut Paulsen vor allem eines: „Die Leute suchen nach Hilfestellung im Umgang mit dem Sexualbedürfnis im Alter.” Fragen zum Grundbedürfnis der Menschen also. Und das, obwohl bereits seit fast 30 Jahren Sexualbegleiter – meist Frauen – in Deutschland ihre Dienstleistung anbieten und Koryphäen wie die Holländerin Nina de Vries unerbittlich aufklären.

Bemerkung im Badezimmer

Szenewechsel. Ute Himmelsbach und ihr Partner Rolf arbeiten als zertifizierte Sexualbegleiter. Die Saarbrückerin begleitet aktuell einen Klienten im Raum Koblenz. Die Geschichte des 92-jährigen Witwers beginnt wie so viele mit Bemerkungen im Badezimmer eines Altenheims, berichtet Thomas Peters, der Einrichtungs- und Pflegedienstleiter des Hauses. Beim morgendlichen Waschen versucht der Senior mit einer Pflegerin zu flirten. Doch die geht zu ihrem Chef, statt darauf ein.

Einrichtungsleiter Thomas Peters sucht das Gespräch von Mann zu Mann. (Foto: privat)

Was fehlt, ist Nähe

Für Peters ist klar, was zu tun ist. Er spricht den Bewohner auf das Geschehen im Bad an. „Von Mann zu Mann“, wie der 47-Jährige sagt, kam so ein offenes Gespräch zustande. Nach dem Tod seiner Ehefrau fehle ihm weibliche Nähe und Berührungen, gesteht der Rentner. Peters bietet ihm an, sich zu erkundigen, ob es Frauen gibt, die ihm helfen würden. Durch eine Internetrecherche gelangt er auf das Angebot von Ute Himmelsbach.

Regelmäßige Treffen

Nach einem ersten Treffen des Seniors mit der ausgebildeten Körpertherapeutin und Tantra-Masseurin im Seniorenwohnen, sind sich beide einig, dass es Fortsetzungen geben soll. Seither bucht der Rentner die Sexualbegleiterin alle vier Wochen. Was dann im Zimmer geschieht, bleibt ihr Geheimnis.

Sehnsucht nach Anfassen

Gabriele Paulsen hingegen kann die Geheimnisse etwas lüften. „Es geht nicht um den reinen Sex“, sagt sie. Das würde einen 90-Jährigen eventuell sogar überfordern. Stichwort Leistungsdruck. Paulsen weiß, dass alte Männer danach nicht suchen, wenn sie bei Nessita anrufen. Es gehe vielmehr darum noch einmal eine weibliche Brust streicheln zu dürfen oder einen Popo zu berühren, verdeutlicht die Hamburgerin. Sinnigerweise genau das, was oft vom Pflegepersonal als übergriffig empfunden und gewertet werde. Zu Recht. Daher sei es umso erstaunlicher, dass Sexualbegleitung selten in Seniorenheimen erfolge. Im Gegensatz zur ambulanten Pflege, die Zuhause stattfindet. „Dort leben die Menschen selbstbestimmter“, sagt sie. Den Wunsch nach Sexualität anzusprechen und auszuleben, sei in den eigenen, vertrauten vier Wänden offensichtlich leichter.

Männer als Sexualbegleiter

Schambehaftet ist die Erotik im Alter nicht nur bei den Alten selbst, wie Thomas Peters beobachtet hat. Als er vor gut einem Jahr seinen neuen Job antrat, hat der Vorstand der Aidshilfe Wuppertal mit den Tabus aufgeräumt. Dazu zählt für ihn jede Form sexueller Diskriminierung. Sollte der Wunsch eines Bewohners etwa nach gleichgeschlechtlicher Erotik aufkommen, so will Peters selbstverständlich auch dem nachkommen. Dass Nachfrage besteht, zeigen die drei männlichen Sexualbegleiter, die Gabriele Paulsen vermittelt. Männer, aber auch Frauen buchen sie, so die Online-Vermittlerin.

Was ist Nessita?„Nessita ist kein Escort-Service“, sagt die Macherin Gabriele Paulsen. Vielmehr vermittle und erlaube die Agentur erotische Berührungen und Kuscheln. Das Konzept lautet „Gesundheit durch Nähe“, welches auch ein Schulungsangebot für die Pflege umfasst.