Ich pflege: Ursula Baranski (54)

„Die Politik hat keine Ahnung“

Ursula Baranski (Foto: privat)

Kurzsteckbrief
Name: Ursula Baranski
Alter: 54
Ort: Itzehoe
In der Pflege seit: 1977
Beruf: Altenpflegerin
Arbeitsumfeld: Geschlossene Einrichtung für Chorea-Huntigton, davor Altenpflege

 

 

Du bist schon 38 Jahre in der Pflege. Hut ab!

Danke, ich war eine der ersten Altenpflege-Azubis in Hamburg. Damals war das Pflegesystem staatlich organisiert. Es gab Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Wir hatten mehr Personal und weniger Verantwortung. Heute ist Pflege etwas anderes. Sehr familienunfreundlich.

Trotzdem hast du eine große Familie.

Ja, ich hab vier Kinder großgezogen. Wie das trotzdem funktioniert hat, frag ich mich selbst. Ich hab immer direkt neben der Arbeit gewohnt, sodass die Wege kurz waren. Ansonsten hielt mein Mann mir den Rücken frei. Trotzdem: Es war ein gefährlicher Spagat. Während der Arbeit ist man körperlich und psychisch gefordert und Zuhause wird einem die gleiche Aufmerksamkeit abverlangt. Damals gab es immerhin keine zwölf bis 14 Stundenschichten, wie heute.

Kurzfristiges Einspringen ist in der Branche an der Tagesordnung. Bekommt ihr Überstunden bezahlt?

Nein, sie sollen abgebaut werden. Aber wie will man 150 Stunden abbummeln? Für das, was wir für die Gesellschaft leisten, ist das Gehalt eine Frechheit. Vor allem im Hinblick auf die Rente. Da bekommst du gerade noch 1200 Euro raus. Ich kann verstehen, warum die Jungen nach wenigen Jahren gehen.

Wo gehen sie hin?

Viele wechseln zu ambulanten Pflegediensten. Dort sind die Verhältnisse oft besser. Manche bilden sich weiter und ein großer Teil verlässt die Branche ganz.

Du selbst bist seit fast vier Jahrzehnten dabei. Warum bist du geblieben?

Ich liebe meinen Beruf. Altenpflege war immer mein Ding und wird es immer bleiben. Manche arbeiten nur, um Geld zu verdienen, andere aus Passion. Was du den alten Menschen gibst, bekommst du von ihnen tausendfach zurück.

Würdest du deine Kinder oder Freunde animieren in die Pflege zu gehen?

Heute nicht mehr. Das ist traurig, denn der Beruf an sich ist schön. Für richtige Pflege haben wir aber keine Zeit mehr. Das ist, wie man so schön sagt, Massenabfertigung.

Kann ein Heim so überhaupt noch Qualität gewährleisten?

Nein, von verlässlicher Qualität kann keiner sprechen. Klar, gibt es Pfleger, die ihren Beruf ernst nehmen – vielleicht zu ernst – und versuchen Mängel auszugleichen. Genauso gibt es die, denen die Zustände egal sind. Hauptsache die Akten stimmen.

Fehlt es Pflegeheimen generell an Geld?

Die Mittel sind knapp, das stimmt. Aber ich bin mir sicher, es ist eine Frage der Verteilung. Wenn man mit alten Menschen nichts verdienen könnte, würden nicht überall private Pflegeanbieter aus dem Boden sprießen. Um die Betreiber muss man sich keine Sorgen machen, die schauen, wo sie bleiben. Das Geld dafür zwacken sie an anderer Stelle ab. Entweder an der Einrichtung oder am Personal.

Wäre es nicht Sache der Politik, diese Zustände zu ändern?

Die reden zwar gerne über uns, haben aber keine Ahnung. Jeder, der seine Meinung in einer Polit-Talk-Show kundtut, sollte ein Jahr im Pflegeheim arbeiten müssen. Vielleicht würden dem Gerede dann Taten folgen.

Trotz aller Missstände sagst du, die Pflege ist dein Ding. Erzähl uns von einem tollen Moment.

Mir fällt ironischerweise eine Nacht ein, in der ich eingesprungen bin. Eine Bewohnerin kam zu mir und sagte: ‚Ursula, du hast doch frei! Was machst du hier?‘ Ich hab’s ihr erklärt. Dann bedankte sie sich bei mir, dass ich immer da bin. Gab mir ein Küsschen auf die Wange. Das sind die Momente, für die ich pflege.

Lesen Sie auch
Vogelmanns Perspektive: Lob und Anerkennung den Pflegekräften?