Integration: Großes Interesse wenn Fremdes bekannt wird

Wie sich Pflegeheime um die Integration von Migranten kümmern

Vietnamesische Altenpflegekräfte stellen ihre kulturellen eigenarten vor (Foto: Gieseler)

Neujahr fiel dieses Jahr auf den 19. Februar – zumindest für 25 Vietnamesen, die in sechs Münchener Heimen zu Altenpflegefachkräften ausgebildet werden. Denn die Asiaten richten sich nach dem Mondkalender. Den Beginn des Jahres der Ziege feierten sie zusammen mit 60 Kollegen und Freunden im Seniorenwohnen Kieferngarten der Sozialservice-Gesellschaft des Bayerischen Roten Kreuzes (SSG). Mit einem kleinen Theaterstück erklärten sie traditionelle Riten wie die drei Räucherstäbchen für die Ahnen, bestimmte Baumblüten oder übliche Geldgeschenken. Begeistert waren die Zuschauer über die vietnamesische Trachtenshow, Lieder und Tänze, die ihnen das Land ein Stückchen näher brachten.

Die Bewohner werden immer internationaler

Während etwa im Kieferngarten bereits 17 unterschiedliche Nationen als Pflegekräfte seit vielen Jahren zusammenarbeiten, liegt der Anteil bei den 225 Bewohnern in Pasing-Westkreuz, einem anderen SSG-Haus etwa bei einem Prozent. Das Thema Internationalität spielt sich in deutschen Pflegeheimen gleich auf zwei Ebenen ab: bei den Mitarbeitern und bei den Bewohnern. Doch weil die Statistik streng nach der Nationalität im Pass schaut, bleibt ein Teil der Thematik verdeckt: Menschen, die im Ausland geboren sind, aber den deutschen Pass besitzen zählen nicht dazu genauso wie Menschen, die vielleicht schon in der Kindheit nach Deutschland gekommen sind und ihre ursprüngliche Sprache kaum sprechen und die kulturellen Entwicklungen im Herkunftsland kaum verfolgt haben.

„Das Thema ist wesentlich vielschichtiger“, sagt Philip Egbune, der Diplomsozialwirt mit nigerianischen und russischen Wurzeln leitet das Projekt „Interkulturelle Öffnung“, das auf fünf Jahre angelegt ist und an dem sich unter anderem die beiden Münchener SSG-Häuser Kieferngarten und Pasing-Westkreuz beteiligen. Unter Arbeitskollegen und Bewohnern soll sich ein größeres Verständnis über „Andere“ entwickeln. Egbune weiß aus einem Integrationsprojekt in Thüringen, dass sich interkulturelle Öffnung in den Köpfen abspielt: Es geht darum etwas hinzuzugewinnen und nicht darum eigenes aufzugeben, wie das Beispiel des vietnamesischen Neujahrsfestes zeigt.

„Wir werden sensibler reagieren müssen“

Der SSG-Einrichtungsleiter Pasing-Westkreuz Markus Hirt berichtet auch über vorauseilenden Übereifer, etwa als eine türkische Muslimin sich über fehlende Wurst beschwerte, die hatte das aufmerksame Pflegepersonal ihr wegen des Schweinefleisches vorenthalten. Zu gut gemeint: Die Muslimin war einfach nicht strenggläubig. „Wir werden uns künftig mehr mit diesen Themen beschäftigen müssen“, sagt Hirt, denn gerade in München-Pasing stammen viele Ältere aus Russland oder ehemals jugoslawischen Gebieten. Doch damit kommen ganz andere Verhaltensweisen ins dortige Seniorenwohnen. So sorgte ein älterer Pole für Trubel, weil seine vierköpfige Familie ihn täglich besuchte. Deutsche Bewohner und Pfleger mussten sich erst daran gewöhnen, weil sie diese Zuwendung eher selten erleben. „Wir werden alle noch mehr Sensibilität lernen müssen und auf Schubladendenken und Kommunikationsfallen achten“, so Hirt.

Je konkreter das Projekt, desto interessierter die Menschen

Diese Erfahrung macht auch Philip Egbune beim Projektstart: “Einige sind sehr offen und neugierig, andere reagieren eher skeptisch, solange das Thema ihnen zu abstrakt ist.“ Vor allem Mitarbeiter fühlten sich schon als Profis, weil sie bereits seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Nationen zusammenarbeiten. Je konkreter die Projektarbeit wird, desto positiver verhielten sich alle. Deshalb organisierte er einen Ausflug in die Moschee: Die Teilnehmer konnten Islam fühlen, tasten und schmecken. Der Blick über den Tellerrand diente der eigenen Orientierung: Wie bin ich eigentlich als Christ? Als Jude? Was unterscheidet mich? Was haben wir gemeinsam? Das fanden alle spannend.
Ausländische Arbeitskräfte sind in der deutschen Wirtschaft sehr gefragt, denn beispielsweise in der Pflegebranche fehlen Fachkräfte. Deshalb freut sich die SSG, dass im Kieferngarten die meisten Vietnamesen nach der Ausbildung als Altenpflegefachkraft bleiben wollen, denn sie sind mit ihrem Engagement und ihrer Fröhlichkeit ein Gewinn.


Jens Gieseler ist Kommunikationsberater, Journalist und Heilpraktiker für Psychotherapie. In den letzten beiden Lebensjahren war sein Vater pflegebedürftig. Deshalb hat er sich mit der Pflegebürokratie herumschlagen müssen und viel Sensibilität für das Altern und Sterben entwickelt. Erkenntnis: Beziehungen werden immer wichtiger.