Ich pflege: Christina Berghoff (26)

„Wir brauchen ganzheitliche Hilfsangebote“

Christina Berghoff (Foto: privat)

Kurzsteckbrief
Name: Christina Berghoff
Alter: 26
Ort: Bochum
Beruf: Gesundheits- und Krankenpflegerin, studiert nebenher Gesundheits- und Pflegemanagement
Arbeitsumfeld: Gerontopsychiatrie
In der Pflege seit: 2005

Du arbeitest in der Gerontopsychiatrie. Was ist das genau?

Ein Teilbereich der Psychiatrie. Hier behandeln wir neurodegenerative Erkrankungen im Alter wie die Demenz, aber auch Depressionen und Suchterkrankungen im Alter.

Ein Großteil der Patienten ist schwer demenzkrank, dazu in einer fremden Umgebung. Wie beruhigst du sie?

Wir nutzen verschiedene Ansätze. Einer davon ist die Validation. Ich begebe mich auf die Ebene des Patienten und in die Situation, in der er sich befindet. Wenn er mich als seine Tochter anspricht, stelle ich das nicht unbedingt klar. Das wäre sinnlos und verwirrt die Patienten noch mehr. Ich bin außerdem ein Fan vom Dementia Care Singing.

Dementia Care Singing?

Ich singe häufig während der Pflege. In vielen Fällen beruhigt es die Patienten, egal was ich singe. Solange es ruhig und melodisch ist. Heavy Metal ist also ungeeignet (lacht). Mit Musik entstehen weniger herausfordernden Situationen. Das ist sogar nachgewiesen. Es fasziniert mich, dass Patienten, die kaum einen klaren Satz zustande bringen, Liedtexte aus ihrer Jugend fehlerfrei beherrschen. Um altes Liedgut zu lernen, hab ich mir extra Liederbücher von meinen Großeltern geliehen.

Geht’s bei euch immer so harmonisch zu?

Nein, es gibt auch die andere Seite. Manchmal zeigen die Patienten verbales oder auch tätliches Abwehrverhalten. Ich habe gelernt, die Situation dann zu verlassen. Es bringt nichts sein Vorhaben mit aller Gewalt durchzuziehen. Lieber kurz vor die Tür gehen, tief durchatmen und einen zweiten Versuch starten.

Sind solche Erlebnisse nicht belastend?

In diesem Bereich brauchst du dicke Nerven. Teilweise 25 desorientierte und unruhige Patienten gehen schon an die Substanz, wenn man jedem gerecht werden will. Oder im Nachtdienst: Auf anderen Stationen schlafen die meisten Patienten. Demenzkranke haben häufig einen gestörten Tag-/Nachtrhythmus. Es kommt vor, dass Patienten um 04:00 Uhr nachts glauben, auf einem Bahnhof zu sein. Darauf muss man eingehen.

Wie viele Pflegekräfte sind nachts vor Ort?

Wir sind in der Nacht zu zweit. Anders ginge das nicht. Viele Patienten sind stark sturzgefährdet, deshalb müssen sie intensiv betreut werden. Im Nachtdienst wird die Medizin gestellt, da dürfen keine Fehler passieren, das wäre nicht möglich wenn nur eine Mitarbeiterin da wäre.

Du studierst nebenher. Wie funktioniert das?

Ich arbeite 18 Stunden pro Woche. Den Rest der Zeit studiere ich ganz normal an der Hochschule. Klar ist das viel. Aber ich habe mich bewusst für diese Mischform entschieden. Die Arbeit mit den Demenzkranken liegt mir sehr am Herzen.

Warum studierst du überhaupt?

Um etwas zu verbessern. Sozusagen die Lücke zu finden, durch die sich die Umstände verändern können. Ich bin mit Leib und Seele Gesundheits- und Krankenpflegerin. Und ich finde, es sollten nicht nur die studieren, die sich für wirtschaftliche Belange interessieren. Sondern auch wir, die nah am Patienten dran sind und die wissen, was im Argen liegt.

Heißt das, du möchtest auch nach dem Studium Krankenschwester bleiben?

Irgendwann möchte ich schon meiner Qualifikation entsprechend arbeiten. Mir schwebt da etwas vor (schmunzelt).

Erzähl’s uns!

Eines Tages will ich ein ganzheitliches Hilfszentrum für ältere, insbesondere demenzkranke Menschen und ihre Angehörigen aufbauen. Das heißt, wir wären nicht nur für Pflege da, sondern würden auf das Leben mit Demenz vorbereiten, beratend zur Seite stehen oder helfen den Wohnraum anzupassen. Am liebsten möchte ich gesunde Senioren miteinbeziehen, die Lust auf gemeinsame Aktivitäten haben.

Wie könne so etwas aussehen?

Ein früherer Schreinermeister könnte etwa einmal die Woche mit einem Demenzkranken schreinern. Denn gerade diese alten Interessen auszuleben, macht beiden Senioren Freude. Außerdem stelle ich mir eine Art Notruf-Stelle für Familien vor. Ein Ort, wo sie hinkommen können, wenn alles zu viel wird. Mal sehen, ob’s klappt (lacht).