Ich pflege: Nuran Köse Cicekliyurt (39)

„Ich bin es gewohnt, die Fremde zu sein“

Nuran Köse Cicekliyurt (Foto: privat)

Kurzsteckbrief
Name: Nuran Köse Cicekliyurt
Alter: 39
Ort: Berlin
In der Pflege seit: 2003
Beruf: examinierte Altenpflegerin, Wundmanagerin
Arbeitsumfeld: freiberufliche Altenpflege

Du bist freiberuflich tätig. Wie darf man sich das vorstellen?

Ich pflege dort, wo Personal fehlt. Das bedeutet, ich bin bei einer Agentur registriert. Pflegestationen und –Einrichtungen, die schnell Ersatzpersonal brauchen, melden sich. Sie geben die gewünschten Qualifikationen an und bekommen meine Daten zugesendet. So bekomme ich Aufträge. Nach dem ersten Mal melden sich die Pflegeanbieter oft direkt bei mir. Mit mehreren Stationen arbeite ich inzwischen fest zusammen.

Hast du viel zu tun?

Ja. In der Pflege herrscht immer Personalmangel. Krankheitsfälle reißen eine Lücke. Wenn ich wollen würde, könnte ich 30 Tage am Stück durcharbeiten – in Doppelschichten. An manchen Tagen bekomme ich 100 bis 200 Anfragen.

Das heißt, du triffst fast jeden Pflegebedürftigen zum ersten Mal. Wie gehst du vor?

Ich sage: „Hallo ich bin heute Ihre Krankenschwester. Frau Meier ist leider krank. Darf ich reinkommen?“ Dann schau ich mir die Akte des Patienten genau an. Oft wird das als Unsicherheit missverstanden. Da ich die Krankheitsgeschichte der Senioren nicht kenne, ist es aber extrem wichtig. So vermeide ich Fehler bei der Versorgung und Medikation.

Ist es nicht schwierig jeden Tag neue Kollegen und Bewohner zu haben?

Kein Tag ist gleich. Ich habe mich daran gewöhnt immer „die Fremde“ zu sein. Meine Strategie ist es, offen auf die Menschen zuzugehen. Auf diese Weise habe ich viele gute und manche schlechte Erfahrungen gesammelt.

In welchen Fällen ist es schwer?

Etwa wenn es um Wundbehandlung geht. Nicht jeder ist dankbar, wenn ich auf die Fehler hinweise. Ich tu es trotzdem. Denn ich weiß, dass ich selbst auch Fehler mache, die mir selbst nicht auffallen. Wen Kollegen diese Kritik nicht annehmen wollen, akzeptiere ich das. Ich kann nicht alles ändern.

Wie kamst du ursprünglich in die Branche?

Wir hatten finanzielle Probleme. In der Zeitung fand ich eine Anzeige für eine Pflegehilfskraft in einer deutsch-türkischen Einrichtung. Ich hab sofort angerufen und die waren begeistert. Als ich erwähnt habe, dass ich ein Kopftuch trage, kam nur: „Was? Um Gottes Willen!“

Wie ging‘s weiter?

Aus dieser Wut heraus, habe ich mich an einer Pflegeschule beworben. Dort nahm man mich an, wies aber auch darauf hin, dass mein Kopftuch Probleme machen könnte. Das wollte ich nicht akzeptieren, schließlich lebe ich in einer Multikultistadt. Ich wurde schließlich von einer Pflegestation eingestellt, erst zur Probe, später fest. Mit Kopftuch.

Dein Kopftuch scheint ein Thema zu sein. Wie reagieren Patienten?

Während meiner zwölfjährigen festen Tätigkeit hatte ich keine Probleme. Doch seit ich freiberuflich arbeite, kommt es immer wieder zu unangenehmen Situationen. Schade, dass sowas 2015 noch immer vorkommt.

Beschreib uns eine solche Situation.

Letztens wollte sich eine Dame nicht von mir pflegen lassen, weil ich ein Kopftuch trage.

Wie hast du reagiert?

Ich habe gesagt: „Ja ich trage ein Kopftuch und ich bin hier um Ihnen zu helfen. Wollen Sie sich von mir behandeln lassen oder nicht?“ Sie hat sich entschuldigt und ich konnte mit der Pflege beginnen.

Klingt mutig.

Wenn die Leute mich arbeiten sehen und sprechen hören, wissen sie, dass ich integriert bin. Ich lebe schließlich seit meiner Geburt in Deutschland. Ich beurteile Patienten nicht nach Aussehen, Geschlecht oder Nationalität. Für mich sind sie Menschen, denen ich helfen will. Trotz aller Vorurteile: Ich liebe meinen Beruf und pflege mit Herzblut. Ich bin stolz darauf, Altenpflegerin zu sein.

Nuran, vielen Dank für das offene Gespräch und weiterhin alles Gute!