Kultursensible Pflege-WG: Mitbewohner gesucht

Wohngemeinschaft nimmt Rücksicht auf religiöse Regeln und Rituale

Hand in Hand für türkische Pflegepersonen: Sermin und Ergun Can, Simone Hasenack und Aysel Özdemir (Foto: Fatma Tetik)

Die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) eröffnet im November zwei Pflege-WGs für Senioren, die ambulant betreut werden. Das Besondere an dem Neubauprojekt in Zuffenhausen-Rot: eine der selbstverwalteten Wohngemeinschaften richtet sich speziell an türkischstämmige Mitbürger.

Pflege von Fremden für Migranten undenkbar

„Wenn Sie so weitermachen, sterben Sie noch vor Ihrer Mutter!“ Dieser Satz hat Sermin Can wachgerüttelt. Nach dem Tod ihres Vaters hat sich die türkischstämmige Frau jahrelang um ihre demenzkranke Mutter gekümmert. Körperlich und psychisch war die berufstätige Frau gezeichnet. Ihr Arzt schlug Alarm, mehrmals hatte er Sermin Can ans Herz gelegt, die kranke Mutter in ein Pflegeheim verlegen zu lassen. Das kam, wie bei vielen türkischen Familien, lange nicht in Frage.

Kultursensible Pflege-WGs sollen Tabu brechen

Erst nach sieben Jahren, am Ende ihrer Kräfte, willigte Sermin Can ein. Mittlerweile hat sich ihre Mutter an den Heimalltag gewöhnt, erhält pünktlich Essen und Medizin, wird gewaschen, gepflegt und medizinisch beobachtet. „Wir verbringen täglich eine Stunde qualitätsvolle und glückliche Zeit miteinander“, freut sich Sermin Can. Für Menschen wie sie und ihre Mutter hat die SWSG nun ein Pilotprojekt ins Leben gerufen. Ab Herbst stellt das Unternehmen zwei Wohngemeinschaften (WG) mit je 230 Quadratmetern Wohnfläche für insgesamt 16 Menschen bereit.

In sicheren Händen

Eine dieser WGs in Zuffenhausen-Rot richtet sich speziell an türkischstämmige Mitbürger und trägt den Namen „Emin Eller“ (übersetzt: In sicheren Händen). Die interkulturelle Beraterin Aysel Özdemir hat das Konzept der Pflege-WG gemeinsam mit Simone Hasenack vom Sozialmanagement der SWSG am 17. Juli in der Moschee Yeni Cami in Stuttgart-Feuerbach interessierten Bürgern vorgestellt. Die WG ist Teil des Neubauprojektes in der Olnhauser und Auricher Straße mit insgesamt 90 Wohnungen inklusive Kindertagesstätte.

Pflegedienst selbst wählen

Die Pflege-WG für Türkischstämmige ist im Südwesten die erste ihrer Art. Hauptsächlich demenzkranke Senioren werden dort von einem kultursensiblen Pflegedienst betreut. Diesen können sich die Angehörigen selbst aussuchen. Zusätzlich sind rund um die Uhr Alltagsbegleiter vor Ort. Sie organisieren den Tagesablauf, integrieren Bewohner je nach Fähigkeiten ins Alltagsgeschehen.

Eigene Möbel, eigener Tagesablauf

Anders als im Heim bestimme jeder Bewohner selbst, wann er morgens frühstückt und abends schlafen geht, so Özdemir. Alle Zimmer sind mit TV-, Internet- und Telefonanschluss ausgestattet. Wohnzimmer, Küche und insgesamt vier Badezimmer mit WC werden gemeinsam benutzt. Bewohner dürfen eigene Möbel mitbringen, „so haben sie ein Stück Heimat in den eigenen vier Wänden“, erklärt Aysel Özdemir.

Türkische Kultur im Zentrum

Es wird darauf geachtet, dass die türkische Kultur gepflegt, die Werte und Normen eingehalten werden und türkisch gekocht wird. „Die Pflegedienste und Alltagsbetreuer arbeiten Hand in Hand mit den Familien“, so Aysel Özdemir. „Dank der Senioren-WG, bei der die Mithilfe der Angehörigen Teil des Konzepts ist, können Kinder ihre empfundene Pflicht zur Hilfe gegenüber pflegebedürftigen Eltern erfüllen, ohne dass sie der Spagat zwischen Beruf und Pflege zu Hause überfordert“, betont Hasenack.

Würdevolles Altern für Einwanderer

Erste Interessenten gibt es bereits, einige Plätze sind noch frei. Sermin Can appelliert an ihre Mitbürger: „Lassen Sie sich helfen, wir haben nicht das Recht, unsere Eltern daheim einzusperren, sie sollen würdevoll altern dürfen!“ Ihr Ehemann Ergun Can plant einen Förderverein für die neue WG zu gründen. „Der Verein ist als Schnittstelle zwischen den Bewohnern, Angehörigen, Behörden, der Stadt, der SWSG und den Pflegediensten gedacht“, sagt er.

Mehr kultursensible Wohngemeinschaften möglich

Außerdem soll er das Thema verstärkt in die Öffentlichkeit transportieren. „Wir stehen am Anfang eines Prozesses und müssen dieses Tabuthema an die Bürger heranbringen“, so Can. Sollte das Wohnprojekt gut angenommen werden, sind laut SWSG weitere kultursensible Wohngemeinschaften möglich.

Weitere Informationen
Bei Interesse melden Sie sich gerne bei Simone Hasenack vom Sozialmanagement der SWSG (Telefon 0711 9320222, simone.hasenack@swsg.de).