„Angehörige sind Demenz-Experten“

Die Sängerin Sarah Straub promovierte über Demenz

Die Demenzforscherin Sarah Straub ist auch erfolgreiche Popsängerin. (Foto: Privat)

Die Psychologin Sarah Straub schrieb kürzlich ihre Doktorarbeit über eine seltene Demenzform – die Fronto-Temporale Demenz. Doch die junge Frau setzt künftig vor allem auf eine Karriere als Pop-Musikerin.

Frau Straub, sie sind promovierte Psychologin, die über Demenz forscht, und gleichzeitig eine erfolgreiche Sängerin. Wie geht das zusammen?

Oh, das frage ich mich hin und wieder auch. Ich habe einen verständnisvollen Chef, der mir viele Freiheiten lässt. Ich arbeite hier in Ulm auf einer 50-Prozent-Stelle. Und vieles lässt sich von unterwegs machen. Als ich beispielsweise während des Sommers lange auf Tournee war, konnte ich Forschungsergebnis dokumentieren und zusammenfassen. Aber das ist wirklich sehr schwierig, so dass ich mich momentan für die Musik entschieden habe. Im Bewusstsein, dass ich jederzeit in die Forschung zurückkehren kann.

Warum die Entscheidung für die Musik?

Seit der Veröffentlichung des Albums „red“ 2014 geht es aufwärts. 2013 haben meine Band und ich als Opener vor Joe Cocker gespielt, dieses Jahr vor Lionel Richie in Duisburg. Das war gigantisch. Im September und Oktober habe ich erstmals mehrere Konzerte im Norden Deutschlands gespielt. Im kommenden Jahr nehmen wir eine neue CD auf und dann werden wir voraussichtlich drei, vier Monate unterwegs sein. Diese Chance will ich nutzen. Musik ist schon meine Leidenschaft.

Mehr als die Demenz-Forschung?

Das sind zwei Leidenschaften. Ich bekam mit sechs Jahren Klavierunterricht von meinem Vater, der auch Musiker ist. Mit 12, 13 Jahren schrieb ich erste Popsongs. Deshalb habe ich nach dem Abitur überlegt, mit der Klarinette als Instrument Musik zu studieren. Aber die Entscheidung fiel dann für Psychologie, das wollte ich schon als Jugendliche.

Ergänzt sich beides?

Ich denke schon. Mit der Psychologie versuchen wir die Menschen und ihre Verhalten besser zu verstehen. Und mit meinen Liedern ergründe ich seelische Zustände und versuche mein Publikum auf der Gefühlsebene zu erreichen. Dann hilft mir meine Erfahrung natürlich in der Kommunikation mit der Band und dem ganzen Umfeld. Umgekehrt gilt das aber auch: Die Bühne gibt mir mehr Sicherheit vor vielen Menschen zu sprechen, von der ich bei Vorträgen vor Neurologen und Hausärzten profitiere.

Was erforschen Sie mit Ihren Kollegen?

Unsere Forschungsgruppe besteht aus drei Ärzten, zwei Psychologen und mehreren Mitarbeitern, die uns unterstützen. Uns interessieren spezielle Formen der Demenz, vor allem die Frontotemporale Demenz. Was auch viele Fachleute nicht wissen, diese Demenz ist nach Alzheimer die häufigste Form bei Menschen unter 60 Jahren.

Wie zeigt sich diese Demenz aus?

Wie der Name sagt, ist der Frontotemporale Cortex betroffen, der sich im Stirn- und Schläfenbereich befindet. Dort sind die Persönlichkeit und das Verhalten verankert. Das führt dazu, dass die Betroffenen massiv verhaltensauffällig werden, weil sie nicht mehr zwischen richtig und falsch unterscheiden und keine sozialen Normen mehr respektieren. Typisch ist ein sogenanntes läppisches Verhalten, in Gesprächen werde ich von den Patienten geduzt oder umarmt.

Das klingt nicht gravierend.

Auch diese Krankheit schreitet fort. Und es gibt wesentlich extremere Fälle und Situationen. Das ist vor allem für die Pflegenden anstrengend. Das geht so weit, dass viele Pflegeheime diese Patienten deshalb nicht annehmen. Die meisten Betroffenen werden zu Hause gepflegt. Das sind enorme Belastungen, denn die Patienten sind im Schnitt 50 Jahre alt. Der jüngste war knapp über 30 Jahre alt. Das bedeutet, die häuslich Pflegenden stehen mitten im Berufsleben und, oder haben Kinder. Eine dreifache Belastung.

Gibt es eine Therapie?

Die erste Schwierigkeit ist, dass selbst Neurologen diese Krankheit kaum erkennen. Wer rechnet bei einem 40-Jährigen mit Demenz? Es werden oft Antidepressiva oder Antipsychotika verschrieben, damit sich zumindest die Lebenssituation etwas verbessert. Auch Ergo- oder Logotherapie können sinnvoll sein, weil einige Sprachstörungen entwickeln. Außerdem ist diese Demenz engverwandt mit ALS, einem Muskelschwund. Besonders problematisch wird die Behandlung, wenn die Betroffenen nicht verstehen, dass sie krank sind. Auch das kommt bei der Fronto-Temporalen Demenz öfter vor. Wir erforschen und entdecken diese Erkrankung erst.

Wie sind Sie für sich auf das Thema Demenz gestoßen?

Während meines Grundstudiums erkrankte meine Oma. Und ich fühlte mich hilflos und kannte die vielen Möglichkeiten nicht, die es inzwischen gibt. Das ist sicherlich ein wichtiger Tipp für alle, die mit der Krankheit konfrontiert werden. Informieren Sie sich über die Krankheit, das hilft beispielsweise Symptome wie Aggression zu verstehen und nicht persönlich zu nehmen. Und informieren Sie sich über Hilfestellungen, wie Fachärzte, Pflegedienste oder Selbsthilfegruppen. Der Austausch mit anderen Angehörigen hilft ungemein: Oft sind Familienangehörige die wahren Demenz-Experten.


Jens Gieseler ist Kommunikationsberater, Journalist und Heilpraktiker für Psychotherapie. In den letzten beiden Lebensjahren war sein Vater pflegebedürftig. Deshalb hat er sich mit der Pflegebürokratie herumschlagen müssen und viel Sensibilität für das Altern und Sterben entwickelt. Erkenntnis: Beziehungen werden immer wichtiger.