Ich pflege: Marion Müller (41)

„Wir verheizen unsere Mitarbeiter nicht“

Name: Marion Müller
Alter: 41
Ort: Lindau
Beruf: Altenpflegerin, Wohnbereichsleitung
Arbeitsumfeld: Pflegeheim
In der Pflege seit 1994.

War Altenpflege schon immer ihr Traumberuf?

Nein, ich bin da zufällig reingerutscht. Ich bin ein Kind des Ostens. Nach der Wende hat mir meine Mutter eine Lehrstelle zur Altenpflegerin besorgt. Eigentlich wollte ich Krankenschwester werden.

In wie vielen Häusern haben Sie seither gearbeitet?

Was das angeht hatte ich Glück. Mir hat es in den Einrichtungen, in denen ich pflegte, gefallen. Deshalb gab es nur einen Wechsel. 13 Jahre blieb ich in Thüringen. Dann zog ich nach Lindau. Ich arbeite seit 12 Jahren hier. Die Umsetzung des Eden-Prinzips (siehe Infokasten) habe ich von Anfang an begleitet und unterstützt.

Was hat sich während Ihrer Berufslaufbahn in der Branche geändert?

Der Fokus liegt nicht mehr auf der reinen Pflege – zumindest nicht in guten Häusern. Satt und sauber hieß es früher. Heute bemühen wir uns, den Senioren einen strukturierten Tagesablauf zu bieten, sie zu begleiten und gemeinsam mit ihnen zu leben. Meine siebenjährige Tochter kommt oft ins Heim, spielt mit den Bewohnern Spiele oder malt. Mein Mann spielt Geige bei unserer Weihnachtsfeier. Ich trenne Arbeit und Leben nicht. Arbeitszeit ist schließlich auch Lebenszeit.

Sie sind Wohnbereichsleitung. Warum sollten junge Menschen, bei Ihnen einsteigen?

Wir haben hier viele Freiheiten. Natürlich gibt es festgelegte Abläufe, aber dazwischen hat jeder Raum zur eigenen Gestaltung. Sportliche Mitarbeiter leiten beispielsweise mehrmals wöchentlich unsere Senioren in der Gymnastikgruppe an. Ich freue mich über Vorschläge. Egal ob zum Arbeitsablauf oder zu neuen Aktivierungsideen.

Bei so viel Engagement, wo finden Sie Ihren Ausgleich?

Beim Reisen. Mein Mann und ich lieben es wegzufahren. Im Urlaub bin ich nicht erreichbar und schalte komplett ab.

Und wie sieht das bei Ihren Mitarbeitern aus? Sind die Dienstpläne verlässlich?

Ja, weitgehend. Das liegt unter anderem am niedrigen Krankenstand. In 2014 waren unsere Pflegekräfte im Schnitt an 2,9 Tagen dienstunfähig. Der Durchschnitt liegt in der Branche bei 27 Tagen. Unser Personal steht damit zur Diensteinteilung tatsächlich und nicht nur auf dem Papier zur Verfügung. Wir achten darauf, das Personal nicht zu „verheizen“. Mehr als zehn Überstunden auf dem Arbeitszeitkonto sind absolut unüblich. Wer regelmäßig entspannen kann, pflegt sorgfältiger. Unsere Mitarbeiter dürfen auch monatlich 3 Wünsche äußern, die dann im Dienstplan berücksichtigt werden.

Welchen Effekt hat diese Personalpolitik?

Die Pflegenden können ohne Hektik menschenwürdig pflegen. Dadurch, dass sie ihre Talente einbringen und die Angebote im Haus mitgestalten dürfen, spüren wir eine höhere Zufriedenheit. Auch den Bewohnern kommt diese Arbeitsweise zugute. Wir können auf individuelle Wünsche besser eingehen, dadurch fühlen sie sich wohl und gut aufgehoben.

Was wünschen Sie sich für die Pflege?

Mehr Öffentlichkeit. Die Pflege jammert viel zu viel. Dabei sollte sie sich aufraffen. Pflegen macht doch auch Spaß – das muss nach außen dringen. Dann kommt der gute Nachwuchs von ganz allein.

Eden-Alternative
Das in den USA entwickelte Betreuungskonzept besagt, dass die Hauptleiden des Alters durch soziale Isolation entstehen. Eine krankenhausähnliche Situation in Pflegeheimen ruft Langeweile, Einsamkeit und das Gefühl nutzlos zu sein hervor. Für Häuser, die nach der Eden-Alternative arbeiten, steht die Fürsorge für Bewohner und Mitarbeiter im Vordergrund. Es wird ein Arbeits- und Wohnumfeld geschaffen, das sich an Bedürfnissen wie Geselligkeit, Spontanität und Nähe orientiert. Ziel ist es, dass Einrichtungen offener werden. Menschen aller Altersgruppen, Tiere und Gemeindemitglieder sollen ein- und ausgehen. Wie das bei einer großen Familie selbstverständlich ist. Mehr zum Konzept