Ich pflege: Beate Eickelmann (54)

„Mein Tagespensum ist nicht machbar“

(Foto: Privat)

Name: Beate Eickelmann
Alter: 54
Ort: Kamen
Beruf: Heilpraktikerin
Pflegt seit: 2001 den Vater, 2005 die Mutter, 2008 den Ehemann

Frau Eickelmann, sie sorgen für drei Pflegebedürftige. Wie schaffen Sie das?

Ich steh morgens auf und weiß, dass mein Tagespensum nicht machbar ist. Vor allem, weil ich selten durchschlafe. Nachts muss ich mehrere Male nach meinem Mann und meinem Vater sehen. Tagsüber habe ich zwei Stunden Hilfe von Pflege- und Betreuungsdiensten. Allerdings ist das Geld knapp. Pro Person bekomme ich 200 Euro Betreuungsgeld. Für eine Stunde rechnen Dienste aber schon 25 bis 30 Euro ab. Das würde gerade für acht Stunden im Monat reichen. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wie behelfen Sie sich?

Ich setze die Verhinderungspflege stundenweise ein. So kann ich immerhin die wichtigsten Besorgungen machen. Optimal ist die Lösung aber nicht. Die Verhinderungspflege fehlt dann an anderer Stelle.

Was haben ihre drei Schützlinge?

Mein Vater ist nach einem Schlaganfall 2001 halbseitig gelähmt und bettlägerig. Einige Jahre später erkrankte meine Mutter an Krebs. Inzwischen macht ihr auch schwere Arthrose zu schaffen. Mein Ehemann leidet an einer seltenen Form der Demenz, die sogenannte Pick-Demenz.

Wie äußert sich die Pick-Demenz?

Erstmal durch enthemmtes Verhalten. Das Gedächtnis bleibt im Gegensatz zu anderen Demenzerkrankungen lange verschont. Dafür kann mein Mann nicht mehr richtig sprechen. Er weiß nicht, wie er sich benehmen soll. Beispielsweise wusste er irgendwann nicht mehr wie eine Toilette funktioniert. Und er läuft gerne weg.

Etwa im letzten Urlaub 2012 auf Sylt. Ich war mit den Hunden spazieren, während ein Pflegedienst auf meinen Mann aufpassen sollte. Plötzlich war er weg. Wir haben den ganzen Wald abgesucht. Als ich schon richtig verzweifelt war, fand unsere Hündin Maja ihn schließlich im Nachbarhaus. Dort hatte eine Putzfrau wohl die Tür offen gelassen und meinen Mann nicht bemerkt. Die Ferienwohnung war nicht vermietet. Hätten wir ihn nicht gefunden, wäre er verdurstet.

Das klingt angsteinflößend.

Ist es auch. Menschen mit Pick-Demenz bleiben körperlich fit. Sie wirken gesund. Deshalb verstehen Außenstehende ihr Verhalten nicht.

Gab’s deshalb schon einmal Probleme?

Mehrfach. Einmal zogen wir bis vor das Gericht. Damals wurden wir beim Spazierengehen von einer freilaufenden Dogge überrascht. Das Herrchen war weit weg. Mein Mann hatte Angst und gab dem Tier einen Stoß mit der Hand. Dann ging plötzlich der Hundehalter mit einem Knüppel auf ihn los. Ich stellte mich dazwischen und versuchte zu erklären, dass mein Mann krank ist. Dabei bekam ich sogar einen Schlag ab.

Haben Sie sich nie überlegt einen Heimplatz für Eltern oder Mann zu suchen?

Das ist finanziell nicht machbar. Gäbe ich meinen Mann in ein Heim, würde der Unterhalt wegfallen. Ich müsste das Haus verkaufen und eine behindertengerechte Wohnung finden, in der ich mit meiner Mutter und meinem Vater leben könnte. Es gibt in unserem Kreis aber keine behindertengerechten Wohnungen für zwei Behinderte. Außerdem verlangt das Sozialamt dann, dass ich – sollte es diese Wohnung geben – wieder ausziehen muss, wenn auch nur einer verstirbt. So würde ich beim „Umziehen“ bleiben, bis alle verstorben sind.

Gibt es soziale Kontakte außerhalb der Pflege?

Kaum. Mein Mann war im Anfangsstadium seiner Krankheit sehr beleidigend. Bekannte konnten nicht glauben, dass dies ein Symptom der Pick-Demenz war. Freundschaften gingen in die Brüche. Das ist schade. Aber verständlich.

Was ist besonders schwierig?

Feiertage wie Weihnachten und Ostern. Dann habe ich oft keine Hilfe, weil die ambulanten Kräfte frei haben. Und, wie schon erwähnt, ist unsere finanzielle Situation brenzlig. Keiner bedenkt, dass pflegende Angehörige etwa durch Windeln ein erheblich größeres Müllaufkommen haben. Und ich brauche ein Auto, in dem zwei Rollstühle und ein Rollator Platz haben. Das sind immense Kosten, die man vorher nicht überblicken kann.

Sie haben eine Facebook-Gruppe für Angehörigen von Menschen mit Pick-Demenz gegründet. Warum?

Ich will anderen mit meinen Erfahrungen, auch wenn sie nicht alle gut sind, helfen. Der Austausch untereinander tut gut. Wir fühlen uns nicht mehr so allein. Es gibt bisher keine offizielle Stelle, an die wir Angehörige uns wenden können. Deshalb die Facebook-Gruppe.

Wie haben Sie auf die Diagnose ihres Mannes reagiert?

Ich war geschockt. Aber dann haben wir beide beschlossen, die Zeit, die uns noch bleibt zu genießen. Wir haben ein Wohnmobil gemietet und sind sechs Wochen durch Frankreich gefahren. Wir haben noch einmal Monaco besucht, der Lieblingsstadt meines Mannes. Heute ist so ein Urlaub undenkbar. Doch ich trage diese Zeit in meinem Herzen.