Wohlfahrtswerk gestaltet Zukunft

Altenhilfeträger mit Innovationspreis ausgezeichnet

Das Wohlfahrtswerk erhält Innovationspreis
Vorstandsvorsitzende Ingrid Hastedt (links) und Ira Klas (rechts) nahmen stelltvertrend für das Wohlfahrtswerk den Preis für die Top Innovatoren 2016 von Wettbewerbsmentor Ranga Yogeshwar entgegen. (Bild: compamedia GmbH)

Mit Projekten wie dem interaktiven Musiksystem „Nur Mut“ tritt das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg immer wieder als soziales Innovationszentrum des Südwestens in Erscheinung. Jüngst zeichnete die Compamedia GmbH, Veranstalter des Top100-Wettbewerbs, das Unternehmen als eines der 100 innovativsten mittelständischen Unternehmen bundesweit aus.

Im Essener Colosseum Theater überreichte Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar den begehrten Preis Ingrid Hastedt. „Den wachsenden Herausforderungen
unserer Branche werden wir in Zukunft nur mit klugen Neuerungen begegnen können.“, betont die Vorstandsvorsitzende der 1817 gegründeten Institution. Eine dieser „klugen Neuerungen“ ist das Musiksystem „Nur Mut“, an dem das Wohlfahrtswerk und sieben Projektpartner aus Wirtschaft, Bildung und Gesundheit seit September 2015 forschen.

Nur Mut: Spotify für Menschen mit Demenz

Das vom Bundesministerium für Forschung und Bildung mit 1,43 Millionen Euro geförderte Projekt richtet sich vor allem an demenziell veränderte Menschen und Personen mit starken körperlichen Einschränkungen. „Unser Ziel ist ein personalisiertes Musikangebot, das Pflegebedürftigen ein Stück Selbstbestimmung und Lebensqualität zurückgibt“, verdeutlichte Sven Unkauf. Der Projektmanager und gelernte Sozialökonom plant, die klassische Musiktherapie ins 21. Jahrhundert zu holen: Zusammen mit Angehörigen und Betreuern sollen Betroffene ihre Lieblingslieder, vertonte Gedichte oder Audiobotschaften ihrer Liebsten sammeln. Dieser „musikalische Fingerabdruck“ wird zentral gespeichert und kann in der Betreuung vielfältig eingesetzt werden.

Technologie als Schlüssel zu besserem Leben im Alter

Statt Radio-Schlagern sollen Menschen mit Demenz dann am Empfangsgerät ihren ganz persönlichen Lieblingsstücken lauschen. Tagesstrukturierende Geräusche wie Kirchenglocken bieten demenziell Veränderten zudem hörbare Anhaltspunkte für ihren Alltag. Diese Orientierung beruhigt sie und vermittelt ihnen Sicherheit.

Die richtige Geräuschkulisse für jede Situation

In Absprache mit Betroffenen und Angehörigen soll „Nur Mut“ gezielt eingesetzt werden, um Bewohner zu beruhigen oder zu aktivieren. Ein sensibles Thema, das in seiner Umsetzung technisch anspruchsvoll ist und von zukünftigen Nutzern angenommen werden muss. Pulsuhren oder Bewegungssensoren sollen den Gemütszustand der Betroffenen auslesen: Wenn sich der Bewohner zu wenig bewegt – oder er wütend hin-und-her-tigert, reagiert das Musiksystem automatisch auf die übermittelten Daten. Und spielt je nach Situation ein beruhigendes Einschlaflied aus Kindertagen oder einen flotten Gassenhauer, der den Pflegebedürftigen aus seiner Lethargie reißt.

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Per Livestream musizieren

Neben Menschen mit Demenz sollen auch Senioren, die in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sind, vom „Nur Mut“-Projekt profitieren. „Wir wollen diesen Senioren die Möglichkeit bieten, per Internet an Musikangeboten teilzunehmen,“ erklärt Sven Unkauf. Geplant ist, dass sich die Rentner per Livestream zur Gesangsstunde oder Orchesterprobe zuschalten und in Echtzeit mitmusizieren. Technische Herausforderung sind hier Zeitverzögerungen durch zu hohe Latenzzeiten: Pflegebedürftige sollen das Angebot schließlich nutzen können, ohne vorher in technisches Equipment oder eine Breitband-Internetverbindung investieren zu müssen.

Einfache Bedienbarkeit wichtig für Akzeptanz

In der Bedarfsanalyse befragte Pflegeexperten meldeten praktische Bedenken an: In Pflege und Betreuung müssen Pflegekräfte wie Bewohner das Gerät einfach erkennen und intuitiv bedienen können. Darüber hinaus mahnten die Praktiker an, dass das System nicht als „Beschäftigungsersatz“ missbraucht werden dürfe. „Nur Mut ersetzt natürlich keine herkömmliche Betreuung oder Besuche von Angehörigen“, stellt Unkauf klar. Es ergänze das Betreuungsportfolio lediglich um eine weitere Alternative.

Noch ist das interaktive Musiksystem Zukunftsmusik. Nach der abgeschlossenen Bedarfsanalyse, bei der neben Pflegeexperten auch Menschen mit Demenz, Angehörige und Musiktherapeuten ihre Meinung zum Projekt äußerten, wird im Sommer ein erster Prototyp erstellt. Endgültige Resultate sind Ende August 2018 zu erwarten. Das Projektvolumen beträgt 2,24 Millionen Euro.