Inklusion macht kleine Schritte

Immer mehr Menschen mit Behinderung finden Arbeit. Auch in der Pflege.

Zukünftig könnten Menschen im Rollstuhl vermehrt auch in Pflegeheimen arbeiten. (Foto: Fotolia)

„Es gibt Fortschritte, wenn auch nur kleine. Erneut hat sich die Lage schwerbehinderter Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt 2015 im Vergleich zum Vorjahr leicht verbessert“, so fasst der Inklusionsbarometer der Aktion Mensch die Situation Behinderter auf dem Arbeitsmarkt zusammen. Dass sich die Lage für Arbeitswillige mit Handicap langsam verbessert, ist die Folge harter Arbeit weniger Engagierter.

Inklusion: Von der Pflege ins Büro

Karl-Heinz Horbert ist 100 Prozent schwerbehindert, er hat vor drei Jahren seinen rechten Arm verloren. Ein bösartiger Weichteil-Tumor war der Grund. „Als ehemaliger Rechtshänder trainierte ich, meinen Alltag mit nur noch einem Arm, meinem linken, zu bewältigen“, erzählt der 60-Jährige. Schnell wird klar, dass der ausgebildete Altenpfleger seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann.

Sein Arbeitgeber, das Seniorenheim Olching, eine Einrichtung der Sozialen Service-Gesellschaft des Bayerischen Roten Kreuzes, setzt alle Hebel in Bewegung, um ihm einen behindertengerechten Arbeitsplatz zu bieten. Mit Hilfe des Integrationsamtes und der SSG-Regionalleiterin, wird dem Computer-affinen Horbert ein Praktikum innerhalb seiner Reha-Maßnahme angeboten: Im ebenfalls zur SSG gehörenden, und doppelt so großen Heim in Buchenau. Karl-Heinz Horbert beginnt im Oktober 2014 mit dem Praktikum als Fachkraft für Pflegedokumentation und wird nach einem halben Jahr übernommen. Horbert kann dreieinhalb Stunden am Tag arbeiten. Sein 38,5 Stunden Arbeitsvertrag wurde deshalb um 50 Prozent gekürzt. Weil sich damit auch sein Gehalt halbiert, erhält er eine Erwerbsminderungs-Rente. Inklusion erfolgreich.

Idealfall: Teilzeit-Job und Erwerbs-Ausgleich

„Mit meiner linken Hand kann ich inzwischen genauso schnell schreiben, wie manch anderer Kollege mit zwei Händen“, erzählt der Erzgebirgler stolz. Und dass er sich an seinem neuen Schreibtisch-Arbeitsplatz mit um die „Entbürokratisierung der Pflegedokumentation“ kümmert.

Leider laufe es bei der Inklusion nicht immer so glatt, wie bei Horbert, beobachtet Gerd Wielsch von den Neckartalwerkstätten in Hedelfingen, wo nicht ausbildungsfähige Jugendliche im Berufsbildungsbereich ihre Fähigkeiten weiterentwickeln können. Durch ihre starken kognitiven Einschränkungen bringen diese jungen Erwachsenen keinen regulären Schulabschluss oder Berufsausbildung mit. „In mehr als zehn Jahren seit ich hier arbeite, haben wir nur wenige Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt“, sagt der pädagogische Leiter der Werkstatt. „Wir können aber betriebsintegrierte Arbeitsplätze in Firmen anbieten oder in eines unserer Integrationsunternehmen vermitteln, wo dann ein Angestelltenverhältnis entsteht“, erzählt Wielsch.

Inklusionsbarometer zeigt, viele Behinderte finden Arbeit

In der Politik klappt Inklusion ja auch: Wolfgang Schäuble im Rollstuhl. (Foto: Franz Richter, wiki commons)

Auch wenn nicht alle Betroffenen davon profitieren können, es tut sich etwas auf dem deutschen Arbeitsmarkt. So nähert sich die Beschäftigungsquote Schwerbehinderter mit 4,67 Prozent immer weiter dem gesetzlich vorgeschriebenen Wert von fünf Prozent an, berichtet die Aktion Mensch. Insgesamt sind rund 1,15 Millionen schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt – so viele wie noch nie. Auch geben 77 Prozent der Arbeitgeber an, keine Leistungsunterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu erkennen. Allerdings zeigt sich, dass Personalverantwortliche oftmals ein unklares Bild von Behinderung und Inklusion haben. Meist denken sie an Mitarbeiter mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung, doch tatsächlich haben rund 80 Prozent diese erst im Laufe ihres Erwerbslebens, beispielsweise durch eine schwere Krankheit erworben.

Sich mit Behinderten auseinanderzusetzen, ist eine Chance

„Sich mit behinderten Menschen auseinanderzusetzen, ist für Unternehmer eine Chance, die eigenen Strukturen und Prozesse unter die Lupe zu nehmen“, betont Wielsch die Vorteile für Firmen. In naher Zukunft, so vermutet er, können wir es uns nicht mehr erlauben, Menschen, die nicht ins Schema passen, aus der Arbeitswelt auszuschließen. Denn der Fachkräftemangel und die Demographie machen jede Arbeitskraft wertvoll. Selbst die Behinderter.