24 Stunden-Betreuerinnen: Pflege bleibt Frauensache

Weibliche 24-Stunden Betreuerinnen aus Osteuropa versorgen Angehörige

Vom Aufstehen bis zur Schlafenszeit sind die 24 Stunden-Betreuerinnen an der Seite ihrer Schützlinge. (Bild: Fotolia)

Vor der Arbeit Oma beim Anziehen helfen und nach der Arbeit die Wohnung putzen: Obwohl Frauen längst in der Berufswelt angekommen sind, übernehmen sie oft zusätzlich „typische Frauenaufgaben“. Wer es sich leisten kann, legt die Pflege der Angehörigen in die Hände von Migrantinnen.

In Würde altern: Ein Großteil aller Pflegebedürftigen versteht darunter, so lange wie möglich in der gewohnten Umgebung zu bleiben. Der Staat unterstützt diesen Wunsch: Die Pflegestärkungsgesetze setzen finanzielle Anreize, die heimische Pflege belohnen. In Deutschland werden dementsprechend 70 Prozent aller Pflegebedürftigen von den eigenen Angehörigen gepflegt. Doch innerhalb der Familie wird die Verantwortung vor allem Töchtern und Schwestern aufgebürdet: Zwei Drittel aller pflegenden Angehörigen sind weiblich.

Auf den Schultern von Migrantinnen

Längst nicht jede Frau kann oder will neben Karriere und Kindererziehung die Sorge für vorangehende Generationen übernehmen. Wer es finanzieren kann und über ein zusätzliches Zimmer in der Wohnung verfügt, heuert deshalb eine Rundumbetreuung aus dem Ausland an. „Früher stand hinter jedem erfolgreichen Mann eine Frau. Heute steht hinter jeder erfolgreichen Frau eine Migrantin“, scherzt Nausika Schirilla.

24 Stunden-Betreuerinnen aus Osteuropa

Die Professorin für Soziale Arbeit, Migration und Interkulturelle Kompetenz an der Katholischen Hochschule Freiburg geht davon aus, dass bis zu 400.000 Pendelmigrantinnen in Deutschland rund um die Uhr Pflegebedürftige betreuen. Für die 24 Stunden-Betreuerinnen bezahlen Angehörige monatlich, je nach Qualifikation, zwischen 1200 und 2500 Euro. Sechs bis zwölf Wochen lang wohnen die Hilfskräfte, überwiegend Frauen aus Polen oder Südosteuropa, mit den Pflegebedürftigen zusammen. Dann werden sie von jemand anders abgelöst.

Rund um die Uhr versorgt

Vom Aufstehen bis zum Einschlafen stehen die sogenannten „Live-Ins“ ihren Schützlingen zur Verfügung: Sie helfen den Pflegebedürftigen beim Waschen und Anziehen, reichen Essen an oder gehen mit ihnen spazieren. Viele schauen darüber hinaus im Haushalt nach dem Rechten. Sie kochen, waschen, putzen oder kaufen ein und entlasten damit sowohl Pflegebedürftige als auch Angehörige. Kritisch wird es, wenn die Hilfskraft den Katheter tauscht, Medikamente gibt oder Verbände wechselt. Denn viele Migrantinnen sind für Behandlungspflege nicht ausreichend qualifiziert. Dadurch steigt das Risiko bei der Pflege Fehler zu begehen. Welche Aufgaben die 24-Stunden-Betreuerinnen wirklich übernehmen, kann im privaten Pflegeumfeld allerdings kaum kontrolliert werden.

Rechtliche Grauzone

Das birgt arbeitsrechtliche Probleme. Niemand kann gewährleisten, dass gesetzlich vorgeschriebene Ruhephasen eingehalten werden und die Hilfskräfte genug Freizeit haben. Die Migrantinnen halten sich als EU-Bürgerinnen in der Regel legal in Deutschland auf. Trotzdem stellen die Angehörigen die Frauen nur selten fest und damit sozialversicherungspflichtig an. Stattdessen beschäftigen sie die Hilfskräfte entweder ohne Vertrag oder bezahlen Vermittlungsagenturen, die sämtliche rechtliche Voraussetzungen regeln.

24 Stunden-Betreuerinnen werden zu  Mädchen für alles

„Im Privathaushalt sind Lebens- und Arbeitsort der Frauen identisch. Es besteht eine hohe Abhängigkeit vom Arbeitgeber“, stellt Nausika Schirilla fest. Dadurch erhöhe sich das Risiko, dass die Frauen ausgebeutet werden, so die 56-Jährige. Nicht immer steckt hinter Ausbeutung bösartige Absicht oder Zwang: Durch den intensiven Kontakt zu den Pflegebedürftigen bauen die Hilfskräfte oft eine sehr persönliche Beziehung auf, die oft vertrauter und offener als mit den Angehörigen ist. Sie helfen, obwohl ihr Job sie nicht dazu verpflichtet. So werden „Live Ins“ dann mit der Zeit in die Rolle des „Mädchen für alles“ gedrängt. Zudem kann der „familiäre Preis“ hoch sein, denn die osteuropäischen Arbeitskräfte sehen sechs Wochen oder länger weder Partner noch eigene Kinder.

Harte Arbeit für die eigene Familie

Pendelmigrantinnen als reine Opfer darzustellen, verzerre hingegen die Realität. Sie nehmen die harte Arbeit in der Fremde oft bewusst in Kauf: Viele wollen die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen und betrachten ihre Aufenthalte in Deutschland als Freiheitsgewinn. „Gerade jüngeren Migrantinnen sehen das Leben in einem anderen Land mit fremder Kultur als Abenteuer“, berichtet Schirilla. Sie lösen sich ihrerseits aus der Arbeitslosigkeit oder der klassischen Rolle als Zuverdienerin. Mit ihrem Lohn unterstützen sie ihre Familien in der Heimat, finanzieren das Eigenheim oder die Ausbildung ihrer Kinder.

Regulierungsbedarf besteht

Trotzdem bestehe klarer Regulierungsbedarf. „Kurzfristig brauchen wir Rechtssicherheit für die Frauen, Unterkünfte und Weiterbildungsmöglichkeiten“, fordert Schirilla. Langfristig müsse das sozialpolitische System geändert werden. „Wir brauchen ein breiteres öffentliches Pflegeangebot“. Statt die Familien mit der Pflege ihrer Angehörigen allein zu lassen, müsse mehr Geld in die ambulante und stationäre Pflege fließen.