Diagnose ALS

Aus dem Leben eines Betroffenen

Weltweit erkranken jährlich ca. 120.000 Personen an ALS. Foto: Fotolia
Weltweit erkranken jährlich ca. 120.000 Personen an ALS. Foto: Fotolia

Sport begleitete Frank Zimmerman sein ganzes Leben lang. Bereits als Kind verbringt er viel Zeit mit Fußball und Radfahren. Als Teenager ist er begeisterter Skateboarder, spielt Eishockey, fährt Ski. Als Erwachsener verbringt er viel Zeit im Sportverein, spielt in der Kreisliga Fußball, ist ein beliebter Sportkamerad.

Im August 2009 wird der gelernte Werkzeugmacher Vater, im Dezember des gleichen Jahres stellt er an seinen Armen ein kaum sichtbares Muskelzucken fest. „Hat man schon mal“ denkt sich der damals 35-Jährige. Doch das Muskelzucken wird intensiver, zusätzlich fühlt sich Frank oft unerklärlich träge. Seine Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit nimmt immer mehr ab. Er konsultiert seinen Hausarzt, der ihn zum Neurologen überweist. Der verschreibt zunächst Beruhigungsmittel und autogenes Training. Nach einem plötzlichen Kraftverlust im Schulterbereich folgen Klinikaufenthalte, im Sommer 2010 schließlich die Diagnose: Frank hat ALS.

Seltene Nervenkrankheit

ALS ist die Abkürzung für die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose. Sie tritt relativ selten auf. Experten schätzen, dass pro Jahr etwa zwei von 100.000 Menschen an ALS erkranken. Die Zahl der Neuerkrankungen ist in Europa höher, als in anderen Teilen der Welt. In den meisten Fällen tritt ALS zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf. Die Lebenserwartung von Menschen mit ALS lässt sich aufgrund des unterschiedlichen Krankheitsverlaufs kaum vorhersagen. Im Mittelwert liegt sie ab Diagnosestellung bei dreieinhalb Jahren, ein Drittel der Patienten lebt jedoch noch fünf Jahre und länger.

Komplexes Krankheitsbild

Die unheilbare Krankheit beginnt in der Regel mit Muskelschwäche und Muskelschwund in den Extremitäten. Verkrampfungen an Armen und Beinen, sogenannte Spastiken, gehören zum weiteren Krankheitsbild. Im späteren Verlauf kommt es zum Schwund der Gesichtsmuskulatur. Mit einhergehen kann auch eine fronto-temporale Demenz: Dabei steht weniger der Verlust des Gedächtnisses im Vordergrund, vielmehr ändern sich Persönlichkeit und Sozialverhalten. Nach und nach gehen die muskelsteuernden Nervenzellen zugrunde. Befehle aus Gehirn und Rückenmark werden verzögert und immer schwächer weitergegeben, später entstehen Lähmungserscheinungen. Auf geistige Fähigkeiten wie Sinneswahrnehmungen, Bewusstsein und Denkvermögen hat ALS meist keine Auswirkungen.

Aktiv trotz ALS

Frank Zimmermann ist heute an den Rollstuhl gebunden, wird invasiv beatmet, künstlich ernährt und rund um die Uhr von Pflegekräften betreut. Seit einem für die Beatmung notwendigen Luftröhrenschnitt vor drei Jahren kann der 42-Jährige nicht mehr sprechen, kommuniziert mit seiner Umwelt über einen augengesteuerten Sprachcomputer. „Trotz allem nehme ich noch aktiv am öffentlichen Leben teil und habe ein gut funktionierendes, soziales Umfeld“, schreibt Frank auf seiner Facebook-Seite. Mit seinem Auto mit Hebebühne, das von Pflegekräften gefahren wird, unternimmt er gerne Ausflüge in die Natur, geht ins Kino, besucht Konzerte.

Lichtblicke und Rückschläge

Auf seiner Homepage berichtet der Vater eines siebenjährigen Sohnes vom Verlauf seiner Krankheit. Von anstrengenden Klinikaufenthalten und verschiedenen Therapieversuchen, unter anderem in Thailand. Oder wie ihm traditionelle chinesische Medizin, kurz TCM, geholfen hat, nach mehr als einem Jahr Lähmung seinen rechten Daumen wieder zu beugen und sein linkes Handgelenk leicht nach außen zu drücken. Von der Mutter seines Sohnes trennt sich Frank 2012. Zwei Jahre später lernt er, als er im Krankenhaus stationär behandelt wird, seine jetzige Freundin kennen.

Ärger mit Krankenkassen und Pflegediensten

Der Erkrankte berichtet außerdem von schlechten Erfahrungen mit Krankenkasse und Pflegediensten: So dauerte es sieben Monate, bis die Krankenkasse den beantragten und eigentlich dringend benötigten Rollstuhl genehmigte. Vor knapp zwei Jahren muss Frank sich einen neuen Pflegedienst suchen, weil der bisherige aufgrund Personalmangel die Pflege nicht mehr gewährleisten kann. Er entscheidet sich für einen Anbieter mit sehr langer Erfahrung – und wird enttäuscht. Das Personal schien mit seiner Situation völlig überfordert. „Was sich in dieser Zeit von zwei Wochen abspielte, grenzte an Körperverletzung“, schreibt Frank dazu auf seiner Homepage.

Ins Altenheim aus Mangel an Alternativen

Schließlich kündigt der Dienst den Vertrag, was zur Folge hatte, dass Frank ins Krankenhaus muss, da er keine Versorgung mehr hatte. Nach einer Woche auf der Intensivstation weigert sich seine Krankenkasse die Kosten weiter zu übernehmen. Deshalb wird Frank in ein Altenheim verlegt. Dort gibt es jedoch kein für ALS-Patienten ausgebildetes Personal. Weder hat Frank die Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen, wenn er etwas braucht, noch ist ein entsprechend ausgerüstetes Bett für ihn vorhanden. Als er in Luftnot gerät, weil er nicht abgesaugt wird, muss er fast 20 Minuten auf eine Pflegekraft warten.

Hilfe von Familie und Sozialdienst

Frank bekommt im Altenheim Angstzustände und Panik, der gerufene Notarzt verlegt ihn in ein Krankenhaus auf die Intensivstation. Dort stellt sich heraus, dass Frank durch ständiges Verschlucken und versäumtes Absaugen eine heftige Lungenentzündung bekommen hatte. Schließlich findet sich dank Hilfe von der Familie und durch die Unterstützung des Sozialdienstes des Krankenhauses ein neuer Pflegedienst, der knapp drei Wochen später die Versorgung zu Hause übernehmen kann.

Bis dahin bleibt Frank im Krankenhaus, wo es ihm nicht gut geht, die Aufregung der letzten Wochen um seine Pflege war sehr anstrengend für ihn. Zum ersten Mal seit Beginn der Erkrankung will er nicht mehr leben. Familie und Freunde müssen gute Überzeugungsarbeit leisten, um ihn wieder halbwegs aufzupäppeln. Seine Freundin bricht nach drei Wochen ihre Australienreise ab, die eigentlich für ein halbes Jahr geplant war. Sie ist schließlich der Auslöser, warum in Frank wieder der Kampfgeist erwacht.

Versorgung nach Arbeitgebermodell

Mittlerweile wohnt Frank mit seiner Freundin in einer großzügig geschnittenen, behindertengerechten Wohnung und organisiert seine Versorgung über das Arbeitgebermodell. Examinierte Pflegekräfte betreuen den von ALS Betroffenen rund um die Uhr in 12-Stunden-Schichten.