Impulse durch Paulsen: Wenn Sex zum Problem wird

Wenn Senioren sexuelle Bedürfnisse ausleben, reagieren Pfleger oft über

Sexualität unter Senioren in Pflegeeinrichtungen ist noch ein Tabuthema - das gebrochen werden will
Gefühle und Bedürfnisse bleiben im Alter erhalten, nur manchmal in einer anderen Form (Foto: Fotolia)

Sexualberaterin Gabriele Paulsen sagt, man soll Herausforderung erst annehmen, wenn man sie richtig gut versteht. Anstatt zu sagen, das mache ich jetzt so, kann es klug sein, kurz innezuhalten und zu überlegen: Bin ich der Situation auf den Grund gegangen? Habe ich überlegt, wie es zu diesem Verhalten kommt? Was will ich erreichen und wie will ich es erreichen?

Gestern bekam ich wieder einen dieser Anrufe: „Frau Paulsen, wir haben hier ein großes Problem“, sagt die Anruferin und schildert, dass ein neuer Bewohner sich in kürzester Zeit so gut eingelebt habe, dass er einer Bewohnerin im Speisesaal die Hose öffne und ihr in den Schritt greife. „Das Schlimme“ sei, dass dieses Tun der alten Dame gefalle. Die Mitarbeiter sind demnach entsetzt und „brauchen jetzt schnell eine Lösung“. Die Idee: Eine Sexualbegleiterin möge vorbeikommen.

„Was ist dann deren Aufgabe“, frage ich. Das müssten die Begleiter doch selbst wissen, ertönt es entrüstet am anderen Ende der Leitung. Ich spüre sozusagen durch den Hörer den dringenden Wunsch, das ganz natürliche Bedürfnis des einzelnen, hier „das Problem“ wegzudelegieren.

„Sind die beiden ineinander verliebt? Gibt es Ehepartner oder Angehörige, die sich über das Verhalten des Mannes ärgern und oder aufregen könnten?“ will ich wissen. „Nein, beide sind alleinstehend, aber verliebt scheinen sie mir nicht,“ antwortet die Pflegekraft nachdenklich. „Entsteht der Eindruck, dass einer der beiden unzufrieden ist mit der Situation?“ frage ich erneut. „Nein,“ kommt es spontan zurück.

Ja, wir werden in der Pflege täglich mit skurrilen Situationen konfrontiert und manchmal auch überfordert. Natürlich sind wir erschrocken, wenn solch ein herausforderndes Verhalten unsere eigenen Werte und Normen ins Wanken bringt.

Aber zugleich tut es gut, sich die Zeit zu nehmen, zu sortieren, zu ordnen und erst dann zu entscheiden. Das Gespräch mit den Kollegen, gern auch als Fallbesprechung dokumentiert, kann helfen zu verstehen und andere Blickwinkel einzunehmen. Gemeinsam im Team entscheidet es sich oft leichter. Viel Erfolg dabei.

 

Über Gabriele Paulsen
Gabriele Paulsen berät, trainiert und coacht seit über 10 Jahren Fachkräfte im Gesundheitswesen. Sie gründete den Sexualbegleit-Service Nessita und lebt in Hamburg. Schwerpunkte Ihrer Arbeit sind gewaltfreie Kommunikation und Buisness Coaching. Seit 2001 war sie als Medizinproduktebeauftragte, Ernährungstherapeutin, Fachberaterin für Qualitätsicherung und auch im Vertrieb in der Altenpflege tätig. Davor arbeitete sie in den Universitätskliniken Hamburg und Kiel als Fachkranken­schwester in der Anästhesie- und Intensivpflege. Gabriele Paulsen zeigt neue Wege auf und hilft Veränderungen aktiv mitzugestalten. Die sexuelle Selbstbestimmung als Gedanke der Menschenrechte steht dabei im Fokus ihres Handelns.