Altenpfleger werden trotz Taubheit

Paulinenpflege in Württemberg bildet Menschen mit Behinderung aus

Trotz Taubheit oder Autismus werden Lehrlinge der Paulinenpflege auf den normalen Berufsalltag vorbereitet
Die Paulinenpflege in Winnenden ermöglicht Menschen mit Handicaps in die Berufe der Pflegewelt einzusteigen und zu erlernen (Foto: Privat)

Die Paulinenpflege in Winnenden bildet Hörbehinderte zu Altenpflegern aus. Die Praxis zeigt, dass das sehr gut gelingt und auch die meisten Pflegebedürftigen positiv reagieren, wenn die Pflegerin selbst gehandicapt ist.

Von Königin Pauline finanziell unterstützt

Seit 1823 ist die Paulinenpflege auf die Qualifizierung Hörgeschädigter spezialisiert. Der Ursprung liegt darin, dass unter den Kindern, die hier versorgt wurden, eines hörgeschädigt war. Die Betreuer erkannten, dass dieses Kind eine besondere Förderung brauchte. Von Königin Pauline finanziell unterstützt,  entsteht so die erste Bildungsstätte für Gehörlose: eine Grund- und Hauptschule.

„Ob Abitur, Berufsabschluss oder Fachhochschulreife – heute ist in der Schule im Jakobsweg der Paulinenpflege jede Art von Abschluss möglich“, betont Pressesprecher Marco Kelch. Zusätzlich gibt es seit 40 Jahren das Berufsbildungswerk. Dort können 30 verschiedene Berufe an mehreren Standorten in Süddeutschland erlernt werden. In Spezialeinrichtungen werden Hör-, Sprachbehinderte und Autisten individuell gefördert.

Andere Lehrweise

Um das Lernen für beispielsweise angehende Altenpfleger zu vereinfachen, wird mit Visualisierung gearbeitet. Aufgaben bildhaft zu bearbeiten, gibt jedem die Chance, aus verschiedenen Blickwinkeln zu verstehen und zu lernen. Unterrichtsstunden werden teils in Gebärden- und Lautsprache gehalten.

Die Paulinenpflege lehrt in speziell ausgestatteten Einrichtungen. „Hörgeschädigte sind stark auf das Sehen angewiesen“, so Kelch. Daher wird ihnen in hellen Zimmern mit natürlichem Licht das Lernen vereinfacht. Auch schalloptimierende Maßnahmen sind hierfür förderlich. Eine Soundfield-Anlage sorgt dafür, dass die Stimme des Lehrers im ganzen Raum gleichmäßig hörbar ist. In jeder Klasse sind lediglich sechs Schüler, unterrichtet und gefördert von einem Lehrer. „Der Lehrer kann somit individuell auf Schüler eingehen“, betont Manuel Wacker, Berufsschullehrer der Paulinenpflege. Gestik, deutliches Sprechen und einfache Textstrukturen seien wichtig für Lernprozesse. „Teamcoaching gibt es bei uns ebenfalls“, sagt Wacker. Klassen werden dabei nach Lernniveau aufgeteilt und zwei Lehrer unterrichten, sodass jeder nach eigenem Tempo verstehen kann.

Die Abbruchquote ist daher schwindend gering. Die Spezialeinrichtung kann damit umgehen, dass Schüler langsamer lernen. Aufgrund der hohen Erfolgsaussicht liegt die Abbrecherquote unter einem Prozent. Seit 1983 vollenden 150 Lernende jedes Jahr einen der 30 Berufs- und der möglichen Schul-Abschlüsse in der Paulinenpflege.

Fachrichtung Altenpflege

In Richtung Altenpflege sind drei Ausbildungen möglich: Alltagsbetreuer, Altenpflegehelfer und Altenpfleger. Den Abschluss Altenpfleger erlangen Lernende nach drei Jahren, benötigen mindestens einen mittleren Bildungsabschluss und sind  letztendlich eigenständiger Verantwortungsträger auf einer Station. „Um Betreuer oder Pflegehelfer zu werden, benötigt man einen Hauptschulabschluss“, so der 32-Jährige. Diese Ausbildungen dauern lediglich zwei Jahre und verlangen weniger Verantwortung im späteren Berufsleben. „Normalerweise finden nach neun Monaten schon Prüfungen statt“, sagt Wacker und fügt hinzu: „Doch wir geben Zeit um anzukommen, daher die längere Ausbildungszeit.“

Mit Abschluss der Ausbildung unterstützt die Paulinenpflege ihre Lehrlinge bei der Suche nach einem Arbeitgeber. „Entscheidend ist, einen Platz zu finden, an dem der Betroffene nicht ständig mit seiner Behinderung konfrontiert wird“, so der Berufschullehrer. Die Bereitschaft der Heime sich mit den Hörgeschädigten intensiv zu beschäftigen und vor Ort eine Bezugsperson bereit zu stellen, helfe dabei.

Im Berufsleben wird von Menschen mit Einschränkung eine vergleichbare Arbeitsleistung erwartet. Genau darauf bereitet die Paulinenpflege intensiv vor. Lautstärke oder Kommunikation dürfen kein Problem mehr für die Hörgeschädigten darstellen, da Pflegeheime nicht über Spezialeinrichtungen verfügen. Praxisbesuche während der Ausbildung vereinfachen den Einstieg. „Alleine dürfen Hörgeschädigte auf einer Station nicht sein. Sie könnten Hilferufe nicht hören“, so Wacker.

Reaktionen der Heimbewohner

Heimbewohner reagieren verschieden auf Pfleger mit Handikap. „Die meisten Heimbewohner haben Einschränkungen und verstehen auch die der Pfleger“, erklärt der Berufsschullehrer. Jedoch komme es durchaus vor, dass Bewohner kein Verständnis haben, warum diese Pfleger sie nicht auf Anhieb verstehen. Auffällig sei, dass viele Hörgeschädigte einen besseren nonverbalen Kontakt zu Bewohnern haben. Berührungen werden bewusster ausgeführt, da der fehlende Gehörsinn die anderen Sinne stärkt. Außerdem können schwerhörige Altenpfleger besser mit den Problemen von Bewohner mit demselben Handikap umgehen. „Wer kennt die Welt der Schwerhörigen besser, als Schwerhörige selbst“, fügt der 32-Jährige hinzu.


Nele Ruppmann Jahrgang 1998, studiert germanistische Linguistik an der Uni Stuttgart. Nebenher ist sie als freie Mitarbeiterin für die Pflegebibel aktiv. Ihr Lebensmotto: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“