Bewohner on Tour

Pflegeeinrichtungen zeigen wie Urlaub mit Bewohnern funktioniert

Mit einer guten Planung und einem motivierten Team steht einer Reise nichts mehr im Wege
Senioren machen die Städte unsicher, Betreuer sorgen für ihr Wohl (Foto: Juliusspital Würzburg)

Dass sich örtliche Abwechslung positiv auf die Psyche auswirken kann, ist ein offenes Geheimnis. Für viele ein Grund ein Seniorenheim zu meiden. Reisen ist dann vorbei. Zwei Einrichtungen aus Würzburg und Nettetal beweisen jedoch, dass es auch anders geht.

Freie Fahrt für Bewohner und Pfleger

„Wir probieren es mal“, hieß es zu Beginn im Seniorenstift Juliusspital in Würzburg. Inzwischen fahren Pflegeteam und Bewohner zum 25. Mal gemeinsam in den Urlaub. Jeweils 20 Bewohner können an den jährlichen Fahrten teilnehmen. „Wir haben ausschließlich gute Erfahrungen mit unseren Trips gesammelt“, erzählt Einrichtungsleiter Clemens Halbig. Mögliche Reiseziele sucht er gemeinsam mit seinem Team aus. Die Palette reicht dabei vom Schwarzwald über den Spreewald bis zum Bodensee. Wer mitgeht, entscheiden die Pfleger und Bewohner selbst.

Das Interesse ist hoch, daher wechseln die Teilnehmer jährlich. Finanzieren müssen die Bewohner ihren Urlaub selbst. Pauschal fallen für eine Woche 290 Euro an. Für Pflegende ist der Aufenthalt kostenlos. 13.000 Euro investiert das Pflegeheim pro Jahr in die Sonderaktion. Zusätzlich entlohnt Halbig seine Leute mit drei Tagen Sonderurlaub. „Auch wenn es nach Urlaub aussieht, für Mitarbeiter kann der Ausflug kräfteraubend sein“, erklärt der Einrichtungsleiter.

Durchgeplant von A-Z

Nach der Ziel-Auswahl muss die Reise sorgfältig auf Barriere-Armut überprüft werden. Dazu zählen die Breite der Durchgänge etwa zu den Esszimmern in den Hotels oder ob erhöhte Eingänge via Rampe befahrbar sind. „Hier reichen telefonische Kontakte oft nicht“, weiß auch Gabriele Scheid, Leiterin des Sozialen Dienstes des Marienheims Hinsbeck in Nettetal. Stattdessen nimmt sie Strecken und Zwischenziele wie Toiletten auf Rastplätzen, Unterkunft und Ausflugsziele persönlich in Augenschein, um einen reibungslosen Ablauf zu ermöglichen. „Die Planung einer solchen Reise nimmt schnell mehr als ein halbes Jahr in Anspruch“, weiß auch Kollege Halbig.

Vor dem Reisestart sollten geplante Rastplätze auf sanitäre Einrichtungen geprüft werden
Auf Reisen können Bierbänke schnell und einfach jeden Parkplatz zu einer angenehmen Raststätte umfunktionieren (Foto: Juliusspital Würzburg)

Eine tragende Rolle spielt außerdem das Transportmittel, in dem die Senioren zu ihrem Reiseziel gelangen. Dafür gibt es speziell angefertigte Busse, die mit rund 4500 Euro zu Buche schlagen und „die Fahrt durch fehlende Hindernisse erheblich erleichtern“, so Halbig. Als Alternative funktionieren Kleinbusse wie sie in Nettetal genutzt werden. Tipp: „Für unterwegs empfehle ich, eine Inko-Tasche mit Inkontinenz-Artikeln, Toilettenstühle oder Schnabeltassen einzupacken und Vorhaben oder Führungen in Lokalitäten vorab zu reservieren“, rät Diplom Sozial-Pädagogin Scheid. Um Ängste zu nehmen, stellt die Leiterin Mitreisenden schon im Vorfeld so viele Informationen wie möglich zur Verfügung. Es sei eine gute Idee die Biografien der Bewohner in die Planung einzubeziehen. „Wir wollten nach Tschechien, was bei einem älteren Herren Kriegserinnerungen weckte“, gibt Halbig ein Beispiel. Das hätte in einem Dilemma enden können.

Nachwuchskräfte sorgen für Win-Win-Situation

Um die Alt-Weltenbummler optimal betreuen zu können, hat das Seniorenstift Würzburg eine Kooperation mit verschiedenen Pflegeschulen ins Leben gerufen. Regionale Pflegeschüler unterstützen den ungewöhnlichen Touristentrupp, egal ob die Reise an einen Badesee, ins Gebirge oder zur Schlossbesichtigung führt. Für ihr Engagement werden die Branchenneulinge vom Unterricht freigestellt. „Das Konzept kommt gut an. Die Schüler bekommen einen Eindruck von der Praxis und unsere Bewohner sind von jungen Menschen umgeben – eine klassische Win-Win-Situation“, freut sich Halbig.

Reisen ohne Risiko

Nebenbei zahlt die Rundumbetreuung auf das Sicherheitsbedürfnis der Pflegebedürftigen ein. Bislang habe es zwar noch keinen Unfall gegeben, trotzdem müsse eine in die Jahre gekommene Reisegesellschaft auf plötzlich auftretende Akutlagen vorbereitet sein. Neben Kleidern sollten daher Medikamente, Ausweise, Versicherungskarte und Notfallkoffer an Bord sein. Funkklingel oder Baby-Phon können zusätzlich zu nächtlicher Sicherheit der Bewohner beitragen. Damit die Bewohner im Krankheitsfall schnell zurück ins Heim gelangen können, biete sich ein Reiseziel im Radius von drei Stunden Fahrt an, so Scheid vom Marienheim Hinsbeck.

„Der Planungsaufwand ist groß, doch er lohnt sich“, betont Halbig. Der 55-Jährige beobachtet jedes Mal aufs Neue, wie Senioren aufblühen. Selbst demente Bewohner genießen die Touren in vollen Zügen. „Einmal hat eine 105-jährige Demente auf dem Weg zu einem Schloss erzählt, wie sie in den 20er-Jahren schon einmal dort war“, erzählt der Heimleiter. Ein berührender Moment, der vielfach für die investierte Kraft entschädigt habe.

Eindrücke die bleiben

Sowohl das Marienheim Hinsbeck als auch das Seniorenstift Juliusspital nehmen gewonnene Eindrücke mit in den heimischen Alltag. Angehörige, Reiseteilnehmer und zu Hause gebliebene Bewohner lassen das Erlebte beim Fotonachmittag Revue passieren. Ein Besuch im Zoo, die Seilbahnfahrt über den Rhein oder der Strandnachmittag am Bodensee. Zu erzählen gibt es dann Vieles.



Hendrik Stüwe (Jahrgang 1991) Ist Pflegebibel Redakteur, gelernter Industriekaufmann, Fotograf und Journalist. Gesundheits- und Management-Themen sowie aktuelle Ereignisse aus der Pflege sind seine Spezialgebiete. Damit ist der ehemalige Fitnesscoach auch in anerkannten Arzt-, Physio- und Fitness-Magazinen unterwegs.