Ich pflege: Ulrike Abdallah

„In Deutschland hatte ich keine Energie mehr, etwas zu unternehmen“

Ulrike Abdallah (Foto: privat)

Name: Ulrike Abdallah
Alter: 63
Ort: Bern, Schweiz
Beruf: Fachkrankenschwester Intensivpflege, Wundexpertin
Pflegeumfeld: Altenpflege
In der Schweiz seit: 1988

 

 

 

 

Du bist 1988 in die Schweiz ausgewandert, wie kam es dazu?

Die Arbeit wuchs mir über den Kopf in Deutschland. Ich war nur noch am Funktionieren und ständig im Stress. Die Stellenprozente für eine Station waren so knapp berechnet, dass nie Zeit blieb für alles. Eine Freundin von mir war bereits in Chur (CH) als Krankenschwester tätig und gab mir den Anstoß, mich bei einer Vermittlungsstelle zu melden. Aber zu ihr ziehen war für mich keine Option. Ich war 34 Jahre alt und wollte alleine meine Erfahrungen an einem neuen Ort sammeln. Am Anfang dachte ich auch, ich bleibe ein Jahr zum Herunterfahren und komme dann wieder nach Deutschland.

Und wohin hat es dich verschlagen?

Ich ging nach Bern. In einer kleinen Privatklinik wurde mir auf der herzchirurgischen Intensivstation eine Stelle angeboten. Meine Ankunft in Bern werde ich nie vergessen. Es war Dezember und eiskalt. Aber als ich aus dem Bahnhof trat und mich umschaute, fühlte es sich gut an.

Du bist immer noch in der Schweiz, was hat dich überzeugt zu bleiben?

Die Lebensqualität. In Deutschland hatte ich keine Energie mehr, etwas zu unternehmen. In der Schweiz kam diese Energie wieder zurück und ich konnte an freien Tagen in die Berge oder abends mal ins Theater.

Und der Lohn?

Ja klar. Der Lohn war schon deutlich höher aber das Leben in der Schweiz auch deutlich teurer. Heute ist mir wichtiger zu wissen, dass ich weniger Stress habe und mir mehr Zeit für die Patienten nehmen kann.

Auch in der Schweiz hast du auf Intensivstationen gearbeitet. Seit 2013 arbeitest du nun in einer Seniorenresidenz. Warum dieser Wechsel?

Auch ich werde älter (lacht). Ich habe immer 100 Prozent gearbeitet und das immer in Schichten. Das spürt man irgendwann. Durch meine Arbeit in der Onkologie war mir das Altern und Sterben nicht fremd. So wurde mir mit 60 sogar noch diese Stelle angeboten.

Glückwunsch! Und der Wechsel hat sich gelohnt?

Allerdings. Ich bin ein sehr wissbegieriger Mensch und habe viele Weiterbildungen und Kurse in meinem Leben besucht. Mit dem Wechsel in die Altenpflege habe ich nochmals viel dazulernen können und lerne bis heute. Ich bin auf meiner Station zuständig für die Pflegeplanung, die Pflegeeinstufung, die Berufsbildung und noch einiges mehr.

Weiterbildung ist ein gutes Stichwort. Arbeitgeber sparen gerne an diesem Punkt. War das nie ein Problem?

Nein zum Glück nicht. Ich denke, in diesem Punkt ist die Schweiz ein Schritt weiter. Weiterbildungen und Kurse werden gerne unterstützt und sind durch Verbände besser organisiert. In Deutschland ist das, glaube ich, komplizierter. Aber ich bin da nicht mehr auf dem neusten Stand.

Du kamst als Deutsche in die Schweiz. Hast du gespürt, dass du eine Ausländerin bist?

Mir war der Kontakt zu Schweizern von Anfang an sehr wichtig. Das hat mir sicher sehr geholfen. Aber beim Arbeiten habe ich das nie gespürt, dass ich anders behandelt würde.

Hast du andere deutsche Krankenschwestern kennengelernt?

Ja, ich habe schon mit einigen zusammengearbeitet. Aber ich habe mich da nie verbündet oder einen deutschen Freundeskreis gesucht.

Das Umfeld spielt eine große Rolle, damit man sich wohl fühlt. Hat dich deine Familie in der Schweiz besucht?

Oh ja. Sie waren sehr oft zu Besuch und der Kontakt zur Familie ist eng geblieben. Aber nicht nur meine Familie, auch einige Freundinnen sind immer wieder zu mir in die Schweiz gekommen und haben einige Tage bei mir verbracht. Das sind die schönsten Beziehungen, die man haben kann, wenn man sich selten sieht und doch so eng befreundet ist. Aber natürlich habe ich mir in der Schweiz ein Umfeld aufgebaut und Freundschaften geschlossen.

In einem Jahr wirst du pensionierst. Wäre es nochmals 1988, würdest du wieder in die Schweiz gehen?

Ich denke schon. Ich bin froh, dass ich damals den Schritt gewagt habe und das habe ich bis heute nie bereut. Ich wollte bis zur Pensionierung pflegen, das habe ich nun fast geschafft.