Pflege ohne Pflege

Als Laie in der Seniorenresidenz

Parkanalagen sind eine schöne Umgebung für Senioren. (Foto: Pexels)

Wer nicht täglich mit demenziell Erkrankten zu tun hat, ist im Umgang mit Betroffenen überfordert. Als Hotelmanagement-Studentin war ich selbst ein halbes Jahr am Empfang einer Seniorenresidenz in Bern tätig. Hier mein Erfahrungsbericht.

„Grüessech! Wir bringen Ihnen Herrn Müller wieder nach Hause“, sagte ein Polizist, stellte den Betagten neben mich – und ging. Da stand ich nun. Überfordert. Verunsichert. Ein Dialog war mit dem Mann nicht möglich. Diese Erfahrung war für mich neu. Ich hatte nicht gelernt, wie man mit Dementen spricht, einen Rollstuhl zusammenklappt oder einen Gestürzten wieder auf die Beine bringt.
Auch hatte ich dafür keine Einführung bekommen. Es hatte nur geheißen: „Ruf die Pfleger an!“ Als Studentin einer Schweizer Hotelfachschule waren und sind Hotels mein Arbeitsplatz. Care-Hotellerie war bis dahin ein Fremdwort für mich. Pflege sowieso. Aber als Praktikantin mir diese Branche anzuschauen, klang spannend.
Die Seniorenresidenz ist ein Paradebeispiel – auch für die Schweiz -, wie Leben im Alter aussehen kann: Es ist ein Wohn-, Kultur- und Dienstleistungskomplex mit Praxen, Bibliothek, Konzertsaal und à la Carte-Restaurant. Und es gibt keine Pflegezimmer, sondern Wohnungen.
Jeder der 140 Bewohner bestimmt selbst, solange er das kann, wieviel Pflege er benötigt. Für mich waren das wichtige Kriterien, mich überhaupt zu bewerben. Verbunden mit dem schönen Park in dem sich verschiedene Häuser und somit auch Stationen befinden, wirkte die Residenz auf mich wie ein kleines Quartier im Quartier. Wäre es ein normales Pflegeheim gewesen, hätte ich mich nicht beworben. Beim Vorstellungsgespräch war ich überrascht über so viel adrett gekleidete Menschen. Ich vermisste geradezu den Pflegeheim-typischen Geruch und sah stattdessen Pflegepersonal, das aussah, als seien sie mit ihrer allerliebsten Oma unterwegs. Die Mischung aus professionellem Business und sozialer Institution imponierte mir und ich entschied mich für sechs Monate Seniorenresidenz.

Danke Pflegepersonal

Da saß ich nun an einem Empfang, der auch eines 4-Sterne-Hotels würdig gewesen wäre, vergab den Bewohnern Taschengeld, kopierte vertrauliche Unterlagen und half im Speisesaal im Service. Eigentlich alltägliche Aufgaben, die mich auch in einem normalen Hotel erwartet hätten. Mit dem einzigen Unterschied, dass meine Gäste im wahrsten Sinne des Wortes Stammgäste waren. Viele Bewohner genossen ihren Ausflug an den Empfang und dass dort niemand wusste, was für Medikamente sie nehmen oder ob sie Hilfe beim Toilettengang benötigen. War mir auch egal.

Aber wenn Frau Schmitt den Weg zu ihrer Wohnung nicht mehr fand oder Herr Senn ohne Gehhilfe kam und stürzte, war ich anfangs überfordert. Weil ich stets Sorge hatte, etwas falsch zu machen, rief ich lieber sofort die Pflegekollegen. Darin bestärkte mich auch die Leiterin des Pflegedienstes. „Die sind dir dankbarer, wenn du sie von der Büroarbeit entlastest oder Zeit mit den Bewohnern verbringst“, so ihre Aussage.

Meine Rolle gefunden

Von Tag zu Tag wuchsen mir die Bewohner mehr ans Herz und ich erweiterte meinen Handlungsspielraum. So richtete ich Programme in deren Tablets ein, half beim Dokumente abspeichern oder Kreuzworträtsel ausfüllen. Gespräch und Austausch mit den Senioren wurden zu festen Bestandteilen meines Alltags. Das war wohl auch so geplant von der Geschäftsleitung, dass mir Zeit bleibt für einen spontanen Wortwechsel.
Ich hatte zuvor noch nie so viel und intensiv Kontakt zu alten Menschen. Und ich wurde belohnt: Selten haben sie mich genervt mit Gejammer über die heutige Jugend. Meine Ungeduld war das größere Problem. Zu merken, wen ich mit einer Frage überfordere, oder einfach gelassen zuzuhören, auch wenn der Inhalt wirr war, war wohl für die Bewohner anstrengender als für mich.
Nun, rund ein Jahr später, stelle ich fest: Dieses Modell der Concierge hat sich bewährt. Diese Anlaufstelle für alles Mögliche stiftet den Bewohnern Zuwendung und die Pflegekräfte können sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Ich würde den deutschen Heimen mehr solche „Unterhalter“ wünschen wie mich seinerzeit.