Wenn die Belastung von heute auf morgen doppelt so groß wird

Pflegekräfte übernehmen auch Daheim Verantwortung

Jaqueline Hammes mit Freund Rouven (Foto: Privat)

Nicht alle Pflegefälle landen im Pflegeheim. Ein Großteil wird zuhause von den Angehörigen gepflegt. Oft sind es Pflegekräfte, die das übernehmen.

Seit 2015 sollen Gesetze wie das Familienpflegegesetz oder das Pflegezeitgesetz pflegende Angehörige entlasten und unterstützen. Genutzt werden die aber nicht von allen. Meist sind es Angehörige von alten, pflegebedürftigen Menschen, die auf diese Regelungen zurückgreifen. Jaqueline Hammes wurde von heute auf morgen „Doppelpflegerin“. Ihr Freund Rouven verunglückte vor zwei Jahren schwer. Das Leben der 40-Jährigen war ab diesem Tag nicht mehr dasselbe.

Das Pflegeunterstützungsgeld war zu Beginn die einzige Möglichkeit, ihren Freund täglich auf der weit entfernten Intensivstation zu besuchen. Die Hotelkosten übernahm der Arbeitgeber ihres Freundes. Mit dem Pflegeunterstützungsgeld können Angehörige in einer akut aufgetretenen Pflegesituation bis zu zehn Tage der Arbeit fernbleiben.

Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz sind stets mit Lohnkürzungen verbunden. Mit der Möglichkeit, ein zinsloses Darlehen aufzunehmen, um einen Ausgleich zu schaffen. Das kam für Jaqueline nicht in Frage. Erst kurz davor kauften sie ein Haus und rechneten mit zwei Vollzeit-Löhnen in den kommenden Jahren. Zwei Mädchen im Alter von damals 17 und 21 mussten auch finanziert werden.

Als Fachkraft war es für Jaqueline anfangs schwer, in der Spezialklinik sich nicht in jede Angelegenheit einzumischen. „Ich musste lernen, den Fachkräften zu vertrauen. Das war nicht einfach“, sagt sie heute. Aber sich ganz auf deren Arbeit zu verlassen, war nicht möglich. Jaqueline schrieb ein Pflegetagebuch und dokumentierte alle Werte, wie beispielsweise Reduzierungen der Medikamente. Nebenher recherchierte sie alles Wichtige rund um das Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades, das ihr Freund erlitt.

Bereits nach zwei Wochen begann Jaqueline auf einer geschützt akut psychiatrischen Station ihre Arbeit wieder. Ihre dortigen Patienten sind hoch aggressiv und erfordern gute Nerven und ein starkes Auftreten. Am dritten Tag brach sie während der Übergabe zusammen. Ihre Arbeitskollegen unterstützten sie, wo sie nur konnten, und zeigten viel Verständnis für ihre Situation. Sie wurde erneut für fünf Wochen krankgeschrieben. „Immer so, dass sie nicht aus der Lohnfortzahlung fiel“, ergänzt sie.

Ihr Freund machte Fortschritte und wurde in die Nähe verlegt. Sie begann teilweise ein Paralleltraining, um ihren Freund schnellstmöglich weiterzubringen. Nach dem Ende der Krankschreibung übernahm sie überwiegend die Frühdienste, damit Zeit für ihren Freund blieb. Kam sie einen Tag nicht, tickte er aus und man fesselte ihn ans Bett. Solche Momente waren für sie Horror. Selbst erfahren in solchen Maßnahmen, war der Umgang der Pflegekräfte für sie inakzeptabel. „Eine unkomplizierte Angehörige war ich wohl nicht“, gibt sie zu.

Als ihr Freund endlich nachhause kommt, beginnt der Alltag, der nun knapp zwei Jahre Realität haben wird. Jaqueline arbeitet weiterhin Vollzeit im Krankenhaus mit drei verschiedenen Schichten. Zehn Tage arbeiten – vier Tage frei, lautet die Regel. Zuhause warten Pflege, Haushalt und Erziehung. Zeit für sich selbst Fehlanzeige. Immer wieder begutachtet sie die Arbeitspläne der Station und meldet sich an Tagen mit viel Personal krank. Ihre Kollegen nehmen ihr das nicht übel und sogar mit der Stationsleitung ist das abgesprochen.

„Zwischendurch ging es einfach nicht mehr“, sagt Jaqueline. Bei der Pflegedienstleitung (PDL) kam das nicht gut an und sie wurde ins Büro zitiert. Das anfängliche Verständnis der PDL nahm ab. Ihre Schwiegereltern unterstützten sie, wo sie nur konnten, und tun dies heute noch. Doch die Verantwortung liegt bei ihr. Aufgrund ihres Berufes, ist für alle klar, dass sie die Richtung vorgibt. Das zehrt an den Nerven.

Im Dezember 2016 wird Jaqueline klar: So kann es nicht weitergehen. Sie schafft sich einen Hund an. „Der hat mir den Arsch gerettet“, sind ihre Worte. Von nun an, muss sie jeden Tag raus und findet Zeit, den Kopf abzuschalten. Sogar ihr Freund beginnt, den Hund in den Garten zu lassen und das Tier ermöglicht ihm ein bisschen Struktur. „Der Hund hat uns geholfen, auch mal über was anderes zu reden und nicht nur über seine Situation“, sagt Jaqueline.

Rouvens Situation hat sich verbessert und er hat vor drei Wochen im Hamburger Modell wieder angefangen zu arbeiten. Als Elektriker-Meister ist er wieder bei seinem alten Arbeitgeber beschäftigt. Zurzeit sind das sechs Stunden pro Woche, die er arbeitet.

Die Beziehung der beiden hat unter diesem Unfall und der damit verbundenen Pflege stark gelitten. Die beiden müssen erst als Paar wieder ihre Rollen finden und auf eine andere Art und Weise wieder Nähe gewinnen. „Am Samstag haben wir ein Date,“  verrät Jaqueline und man spürt die Vorfreude.