7,5 Prozent und was davon übrig bleibt

Ein Gastkommentar von Marcus Jogerst-Ratzka

Geldschein Hemd
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Werbeträchtig lautet die Schlagzeile in der Presse „7,5  Prozent mehr für den öffentlichen Dienst!“. Beim Lesen des Kleingedruckten reibt man sich dann die Augen und stellt fest, der große Wurf macht pro Jahr Laufzeit ein mickriges Plus von 3 Prozent aus. Inflationsbereinigt 1,2 Prozent pro Jahr. Daran ändern auch die überfällige Gleichstellung bei den Zuschlägen für Nachtarbeit (warum denn nicht schon immer?) und der Tag Zusatzurlaub (immerhin eine Arbeitszeitverkürzung um stattliche 1,8 Minuten am Tag) nichts. Es mag sein, dass in einigen öffentlichen Verwaltungen jetzt die Seltersgläser gegen Champagnerflöten ausgetauscht werden. Getrunken wird aber bitte erst freitags ab 12 Uhr.

Für den Mangelberuf Pflege bleibt ein bitterer Nachgeschmack

Der Beobachter reibt sich verwundert die Augen. 500.000 Pflegekräfte sollen in 12 Jahren in der Bundesrepublik fehlen. So ist es im Pflegereport 2030 der Bertelsmann Stiftung nachzulesen. Schon jetzt machen Pflegekräfte aus dem Ausland einen großen Bogen um Deutschland. Lohn und Aufstellung der Pflege bei uns stehen nicht im Einklang mit der besseren Pflegeausbildung der ausländischen Pflegekräfte.

Lohnplus von 1,2 Prozent soll Pflegekatastrophe aufhalten

Im politischen Berlin scheint man daran zu glauben, mit 1,2 Prozent noch eine Pflegefachkraft hinter dem Ofen hervorlocken zu können. Die Tarifgehälter werden als Allheilmittel verkauft, das nun das Pflegekraft-Loch schließen soll.

Gut, man hat inzwischen erkannt, dass Hungerlöhne keine guten Pfleger hervorbringen. Aber man scheint völlig auszublenden, dass auch Einrichtungen, die nach Tarif bezahlen inzwischen ihre offenen Stellen nicht mehr besetzen können. Der neue Pflegebeauftragte Andreas Westerfellhaus bemüht sich bereits um Konsensfindung und will mit Sylvia Bühler von Verdi zusammenarbeiten. In der jüngsten Vergangenheit dachte Westerfellhaus noch über eine Pflegegewerkschaft jenseits von Verdi nach.

Die Pflege lag wieder auf dem Opfertisch

Man darf annehmen, dass die Pflege wieder auf dem Opfertisch lag, als der Marburger Bund mit Verdi über die Umsetzung des Tarifautonomiegesetzes in den Kliniken verhandelte. Der Marburger Bund behielt die Ärzte, Verdi darf weiter für die wenigen Pflegemitglieder verhandeln. Ein schlechter Pakt mit Pflegehenne Sylvia Bühler, die Westerfellhaus trotzdem ein zu großes Ego attestierte.

Meine lieben Akteure in Berlin und den Ländern: Wir brauchen keinen Konsens. Wir brauchen eine harte Auseinandersetzung um die besten Lösungen! Das wird unbequem und vielleicht wird es auch den einen oder anderen Sessel etwas unruhiger machen. Letztlich können wir aus Pflegesicht weder auf Verdi noch auf die Arbeitgeberseite vertrauen. Und schon gar nicht auf die Politik. Für die Pflege muss im TVÖD ein Lohnplus von 15-20% verhandelt werden. Dieses muss schnell refinanziert werden und mit kurzer Laufzeit kommen.

Der Bär in Berlin wurde gerade erlegt

Wenn Verdi weiter zulässt, dass die Pflege mit anderen Bereichen mitverhandelt wird, hat diese Gewerkschaft das Vertrauen der Pflegenden endgültig verspielt. Kein anderer Bereich hat so einen eklatanten Mangel an Mitarbeitern zu beklagen und kein anderer Bereich hat eine derart düstere Zukunftsprognose. Alle Beteiligten machen sich mitschuldig. Auch die, die mit diesen Akteuren nach Konsens streben. Leider bleibt festzustellen, dass in Berlin der Bär gerade erlegt wurde und die Aufbruchsstimmung, die im letzten Jahr in der Pflegewelt spürbar war, sich verflüchtigt. Die Jagd ist beendet, die Katastrophe bleibt. Mein Rat: Besser Gummistiefel anziehen. Der Morast wird uns zum Ende der Legislatur noch deutlich höher an den Beinen stehen.