Pflege trifft Geschichte: Der Hilfsausbilder

Das letzte Aufgebot

„Ich war einmal Hilfsausbilder“, sprach ein alter Herr ganz unvermittelt und ungefragt zu seinem Pfleger. „Wissen Sie, was das ist?“ Der Pfleger wusste es nicht, doch der alte Mann erklärte es ihm. Er war im Krieg in Russland verwundet worden. Nicht lebensbedrohlich, aber doch so, dass er einige Wochen nicht einsatzfähig war. Als er zurückkam, warb man ihn überraschend an. Er sollte den „Hilfsausbilder“ geben. Das bedeutete 16 Jahre alte Jungen das Kriegshandwerk zu lehren. Sie sollten in den letzten Wochen noch an die Front geschickt werden.

Die Tragweite der Entscheidung

Nun war ihm inzwischen jeder Weg recht, nicht mehr in das Inferno des Rückzugs aus Russland zurück zu müssen. Außerdem glaubte er ein guter Soldat zu sein, der den Jungen einiges zeigen konnte. So nahm er das Angebot an, die Tragweite erkannte er allerdings nicht. Schließlich kam es Weihnachten 1944 für ihn und seine Jungs tatsächlich zum Kampfeinsatz im Elsass. Hier sah er die Heranwachsenden neben sich sterben, er selbst wurde gefangen genommen.

Freundlichkeit und Verständnis

Ganz plötzlich brach die Geschichte aus ihm heraus. Es war klar, dass er sie viele Jahrzehnte in sich verschlossen hatte. Sein Pfleger aber spielte sich nicht zum Richter auf. Der Mann mit der Last auf der Seele tat ihm leid und er begegnete ihm mit Freundlichkeit und Verständnis. Dankbare Blicke waren die Antwort.

Es gibt Verzeihen

Hier sieht man, dass es nicht viel braucht, diesen Menschen Lasten von der Seele zu nehmen. Der alte Mann war ja damals selbst kaum 20 Jahre alt. Nur ihm selbst war nicht klar, wie man auf seine Geschichte reagieren würde. Nun erkannte er, es gibt Verzeihen.

Erfolge sind wichtig

Der Herr war zur Kurzzeitpflege im Altenheim. Er verstarb Monate später zuhause. Sein letzter Weg wird leichter gewesen sein, weil er sich noch einem Pfleger anvertrauen konnte. Dieser Akt des Verzeihens war ein Erfolg. In unserem Beruf, wo wir schlussendlich Abbau und Tod nicht verhindern können, sind Erfolge so unendlich wichtig.

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Marco Heinz (Jahrgang 1968) schloss 1994 seine Ausbildung zum Altenpfleger ab und ist seither im Beruf tätig. 2007 absolvierte er eine Weiterbildung zur Gerontopsychiatrischen Fachkraft. Das Thema seiner Facharbeit lautete. "Puppen und Plüschtiere als Trost und Brücke zur Vergangenheit". Seit 2009 ist er in der Demenzabteilung eines Pflegeheims im Raum Stuttgart tätig. In all den Jahren ist ihm immer der Mensch in seinem Gegenüber wichtig geblieben. Biographiearbeit ist für ihn die Grundlage adäquater Pflege und Betreuung von Demenzkranken. Das Wissen und Erleben der Generationen, die heute in Heimen und von mobilen Diensten gepflegt werden, sieht er als unverzichtbaren Rohstoff, mit dem wir leider sehr verschwenderisch umgehen. In seiner Freizeit ist Marco Heinz begeisterter Fernwanderer und beschäftigt sich mit Literatur- Philosophie und Geschichte.