Nicht meine Gewerkschaft

Ein Kommentar von Christian Hübner

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Ich habe mich entschlossen, meine Mitgliedschaft bei Verdi zu kündigen. Diese Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht, denn in meinen Augen ist Gewerkschaftsarbeit unverzichtbar. Aus berufspolitischer Sicht ist dieser Schritt, nach den jüngsten Äußerungen zur Akademisierung, für mich nur konsequent.

Den Dialog verweigert

Verdi bezeichnet sich selbst als Pflegegewerkschaft. Gleichzeitig verweigert Fachbereichsleiterin Sylvia Bühler Pflegenden den Dialog. So geschehen nach ihrem Vortrag auf dem Deutschen Pflegetag 2017. Auch den Knopf der bundesweiten Gefährdungsanzeige wollte sie nicht drücken. Sie war überzeugt, es könne „komisch aussehen“. Andere Funktionsträger wie Andreas Westerfellhaus (damals Prasident des DPR, heute Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung) oder Markus Mai (Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz) teilten diese Bedenken nicht. In diesem Jahr ist Frau Bühler dem Deutschen Pflegetag gleich ganz ferngeblieben. Von Verdi war weit und breit nichts zu sehen und zu hören.

Tendenz zum Separatismus

Einerseits ein echtes Armutszeugnis für eine selbsternannte Pflegegewerkschaft, nicht an der größten zentralen Veranstaltung für Pflegende in Deutschland teilzunehmen. Andererseits nicht verwunderlich, denn bei Verdi ist schon lange eine Tendenz zum Separatismus spürbar. Andere berufspolitische Akteure suchen den Dialog und streben gemeinsam danach, die Situation der Pflege zu verbessern. Verdi hingegen zieht sich regelmäßig wie ein trotziges Kind in die Schmollecke zurück. Wer Kritik äußert, dem wird „Gewerkschaftsbashing“ vorgeworfen.

Fehlende Fach- und Sachkompetenz

Dabei ist Kritik durchaus angebracht. Zum einen an der Person Sylvia Bühler. Eine studierte Sozialarbeiterin ohne jegliche Fach- und Sachkompetenz ist sicher nicht die geeignete Person, die Interessen Pflegender angemessen zu vertreten. Zum anderen an der konsequenten Anti-Haltung der Gewerkschaft. Ob Generalistik, Pflegekammer oder Akademisierung, Verdi ist grundsätzlich dagegen. Wenigstens aber anderer Meinung.

Machterhalt im Fokus

Aus Sicht von Verdi ist das alles nachvollziehbar, denn es geht um Machterhalt. Besser gebildete Pflegekräfte sind kritisch. Sie stellen Strukturen in Frage. Sie sind unangenehm und lassen sich nicht an der Nase herumführen. Deshalb werden sie Verdi in der aktuellen Verfassung auch nicht beitreten. Sie haben längst erkannt, dass sie keinen Vorteil zu erwarten haben, der über ein paar Versicherungen hinausgeht. Tariflohn gibt es auch ohne Mitgliedschaft. Und dort, wo kein Tarifvertrag gilt, kann sich Pflege ohnehin nur selbst helfen.

Seite an Seite mit den Arbeitgebern

Angst vor Machtverlust erklärt auch den Schulterschluss mit Arbeitgeberverbänden. Deswegen steht Verdi etwa Seite an Seite mit dem bpa, wenn es darum geht, die Pflegekammer zu bekämpfen. Dort, wo Pflegekammern existieren, will Verdi aber doch plötzlich wieder „mitspielen“. Paradox? Nein, unter dem Aspekt des Machterhalts gut nachvollziehbar.

Keine Freunde gemacht

Auch in Sachen Tarifverhandlung hat sich Verdi zum wiederholten Mal keine Freunde in der Pflege gemacht. Was in der vergangenen Tarifrunde für die Pflege verhandelt wurde ist marginal. Überhaupt stellt sich die Frage, warum Pflege gemeinsam mit anderen Berufsgruppen verhandelt wird. Eine selbsternannte Pflegegewerkschaft sollte andere Prioritäten setzen. Wer Pflegende für sich gewinnen will, sollte sich auch gezielt für Pflegende einsetzen und diese nicht „unter ferner liefen“ mitverhandeln.

Funktionärsposten sichern

Verdi ist zu einem Machtapparat um seiner Selbstwillen verkommen. In den hauptamtlichen Strukturen geht es längst nur noch darum, die eigenen Schäfchen ins trockene zu bringen. Man will seinen Funktionärsposten und die damit verbundenen Annehmlichkeiten sichern. Dafür opfert man auch gerne eine ganze Berufsgruppe dem natürlichen Gegner, der auf der Arbeitgeberseite zu finden ist.

Echte Pflegegewerkschaft

Bleibt zu hoffen, dass über kurz oder lang eine echte Alternative entsteht. Eine Gewerkschaft, die endlich wieder auf der Seite der Arbeitnehmer kämpft. Eine echte Pflegegewerkschaft, die mit Fach- und Sachverstand die Interessen Pflegender vertritt und nicht durch berufsfremde Funktionäre wie Sylvia Bühler verraten und verkauft wird. Vielleicht bekommt Verdi aber auch die Kurve und besinnt sich auf die Wurzeln des Gewerkschaftsgedankens. Dann werde ich meine Entscheidung vielleicht noch einmal revidieren und einer neuerlichen Mitgliedschaft steht nichts im Weg. Bis dahin ist Verdi nicht meine Gewerkschaft.