Sex sells! Vom (Aus)verkauf eines veralteten Pflegebildes

Ein Kommentar von Monja Schünemann

Bild: fotolia.com

Man kann es nicht oft genug betonen: Pflege ist ursprünglich kein weiblicher Beruf. Schon mittelalterliche Mönche pflegten in ihren Hospitälern. Im 19. Jahrhundert wurden dann „weibliche Tugenden“ von einer männergeprägten Gesellschaft definiert. Pflege wurde einer Frau durch ihre Weiblichkeit in die Wiege gelegt. Der angebliche Drang, Menschen zu umsorgen und zu bemuttern, konnte so auch ohne eigene Familie ausgelebt werden. Man(n) konstruierte eine Frau, an die absurde Anforderungen gestellt wurden. Einfache Dinge wie Kaffee trinken oder ein Buch lesen wurden ihr abgesprochen, um einem Berufsausstieg entgegenzuwirken. Besonders kafkaesk: kam es zu sexualisierter Gewalt, war die Krankenschwester daran schuld. Sie hatte dem Patienten Anlass gegeben, sich so zu verhalten. Krankenschwestern wurden Prostituierten gleichgestellt.

Sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung

Die Journalistin Pascale Müller geht davon aus, dass 90% der Krankenschwestern bereits mit sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz konfrontiert wurden. Und für die Psychologin Christine Pernlochner-Kügler gehen Prostitution und Pflege Hand in Hand. Weil beide mit Scham, Ekel und Intimzonen hantieren. In Dortmund wurde 2007 versucht, Prostituierte zu Pflegenden weiterzubilden. Begründung? Dies sei der nächste logische Schritt nach dem Sex-Job. Die konstruierte Nähe tut der Professionalisierung nicht gut. Jahrelang propagiert Pflege, dass sie nicht mehr kann, aber niemand hört es. Die Gesellschaft ist den Schritt zur Profession nicht mitgegangen. In ihr kollektives Gedächtnis hat sich eingebrannt: Pflege ist billig, uneigennützig, opferbereit und weiblich. Letzteres ist so falsch nicht. Statistisch sind 86% aller beruflich Pflegenden weiblich.

Willkommen zurück im 19. Jahrhundert

Gleichzeitig ist Pflege ein heißumkämpfter Markt. Nicht nur in Kliniken, sondern auch im ambulanten Sektor geht es um Fallzahlen. Besonders private Anbieter sind darauf angewiesen zu werben. Plakative Bildchen sollen die angeblich professionelle Pflege verkaufen. Auffällig, dass die abgebildeten Pflegenden in den meisten Fällen weiblich sind. Sofern sie nicht auf die Hände reduziert werden, also kein Gesicht und somit keine Individualität haben. Da wird umarmt, an der Bettkante gesessen und dem Patienten beim Verbinden tief in die Augen geschaut. Oder die Hände der Pflegeperson ruhen im Schoß des Patienten. Verkauft wird nicht professionelle Pflege, sondern eine Emotion. Die sich dem Patienten nahe fühlende, weibliche Pflegende, legt die Hände in die Intimzone des Patienten und mutiert zur gezeichneten Elfe. Eine ganze Frau mit ihrer Zuneigung, Wärme und Liebe. Willkommen zurück im 19.Jahrhundert.

Emotionale Prostitution

Da ist keine professionelle Distanz. Da ist nur noch Nähe, die der Kunde vermeintlich mitkaufen kann. Die Emotion, die de facto gar nicht vorhanden ist, wird zur Ware. Ich halte diese „Emo-Prostitution“ nicht für eine Leistung meiner selbst, die man verkaufen kann. Da möchte ich schon noch ein Wort mitreden. Pflege so zu verkaufen, halte ich für sexistisch. Ich zweifle nicht an Bindungen bei Langzeitpflege. Aber ich weiß, dass oftmals Patienten auf den Mund geküsst werden und was die Liste an Distanzlosigkeit noch so zu bieten hat. Das ist nicht förderlich

Selbst Schuld an Übergriffen

Die Distanz zu wahren, um nicht sexualisierter Gewalt ausgesetzt zu sein, dafür wirbt der Mitarbeiterratgeber der Caritas von 2017. Nicht auf das Bett setzen, Distanzen wahrnehmen, Rolle behalten. 1920 war man selbst schuld, wenn es zu Übergriffen kam. „Durch einen achtsamen Umgang mit Ihrer Sprache und Wortwahl vermeiden Sie Fehldeutungen“, heißt es in der Broschüre. So progressiv der Ratgeber ist: wenn sich daraus lesen lässt „Männliche Übergriffe können Ausdruck einer falschen Wortwahl Ihrerseits sein, dann haben Sie wohl etwas falsch gemacht“, dann hat sich in 100 Jahren nicht so rasend viel geändert.

Verkaufen wir nicht ein veraltetes Pflegebild. Lassen wir uns nicht SO verkaufen!

Vorheriger ArtikelUli & die Demenz: Frau Merkel, investieren Sie in die Pflege!
Nächster ArtikelUli & die Demenz: Lieblings-Ideengeber für die Aktivierung
Monja Schünemann ist Fachkrankenschwester für Leitungsaufgaben und hat 23 Jahre lang auf Rettungsstellen und Intensivtationen gearbeitet. Sie studierte Geschichte und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und promoviert aktuell in Mittelalterlicher Geschichte zum Thema "Mensch und Krankheit in mittelalterlichen Zentren der Macht". Pflegehistorisch bewegt sie sich im 20. Jahrhundert und beleuchtete in "Ihr Herz ist ihr Tarifvertrag gewesen - Kirchliche Personalpolitik für Krankenschwestern 1920-1930 in der Zeitschrift "Krankendienst" das Entgegenwirken der Institution zum Pflexit der Goldenen Zwanziger. Die historische Pflegeentwicklung unter dem Aspekt der Psychosomatik vertritt sie an der Seite namhafter Historiker im Buch "Auf der Suche nach einer anderen Medizin - Psychosomatik im 20. Jahrhundert", das im März 2019 im Suhrkamp-Verlag erscheint.