Ich pflege: Anne Oberfeld (23)

„Die Pflege war eine Kurzschlussentscheidung“

Anne Oberfeld (Foto: privat)

Kurzsteckbrief
Name: Anne Oberfeld
Alter: 23
Ort: Rodenkirchen bei Bremerhaven
In der Pflege seit: 2011
Beruf: Gesundheits- und Krankenpflegerin
Arbeitsumfeld: Wohngemeinschaft für außerklinische Intensivpflege

Wie kamst du zur Pflege?

Das war eine Kurzschlussentscheidung. Nach meinem Fachabi wusste ich nicht so richtig, was ich machen sollte. Eine Weile lang saß ich Zuhause, dann fing ich ein Praktikum im Krankenhaus an. Das hat mir so gefallen, dass ich direkt mit der Ausbildung weitergemacht habe.

Und wie ging’s dann weiter?

Nach meiner Ausbildung wechselte ich ins Pflegeheim. Ich wollte die Menschen, die ich pflege, kennenlernen und mich nicht nur für kurze Zeit um sie kümmern. Ein halbes Jahr blieb ich dort. Das war aber gar nicht mein Fall: Ein wahnsinnig hohes Arbeitspensum, wenige Fachkräfte und – wie man so schön sagt – Massenabfertigung. Heute arbeite ich in einer speziellen WG als Intensivpflegerin.

Wie funktioniert so eine WG?

Wie jede andere. Wir haben acht Bewohner im Alter zwischen 26 und 50 Jahren. Viele von ihnen müssen dauerhaft beatmet werden. Tagsüber sind zu jeder Zeit mindestens drei, nachts zwei Pflegekräfte anwesend. Es gibt kein Schnell-schnell. Wir pflegen und leben zusammen. Wie in Studenten-WGs, unternehmen wir viel gemeinsam. Das ist ein ganz anderer Alltag als im Heim oder im Krankenhaus.

Kannst du dir auch vorstellen einen Verwandten Zuhause zu pflegen?

Schwierige Frage. Ich glaube, ich wäre keine angenehme pflegende Angehörige. Weil ich alles perfekt machen will und durch meinen Beruf, wäre das eine massive Doppelbelastung.

Was sagen Familie und Freunde zu deinem Beruf?

Meine Familie sagt nicht viel. Vielleicht, weil meine Mutter bis vor kurzem selbst in der Pflege tätig war. Klar, sie bekommen viel mit. Nur beim Essen möchten sie keine meiner Geschichten hören (lacht). Mit dem Freundeskreis ist das so eine Sache. Durch den Schichtdienst und Wochenenddienste ist es gar nicht so einfach einen festen Kreis aufrechtzuerhalten. Das ist eine logistische Herausforderung. Aber wenn man wirklich will, geht das. Für meine Freunde ist mein Beruf ein Job wie jeder andere. Wir kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, was gut ist. So bekommt man hin und wieder auch Abstand zur Arbeit.

Abstand ist ein wichtiges Stichwort. Hast du einen Ausgleich zum Arbeitsleben?

Ja, ich mache sogar relativ viel in meiner Freizeit. In meiner Kirchengemeinde bin ich sehr aktiv, besonders in der Jugendarbeit. Außerdem singe ich im Chor und setze mich bei ver.di für unsere Rechte ein. (überlegt kurz) Aus dem sozialen Bereich komm ich einfach nicht raus (lacht).

Gibt’s denn Erlebnisse, die dich richtig belasten?

Klar, wobei ich jetzt nicht das eine schlimme Erlebnis in Erinnerung habe. Meistens waren Kollegen, Lehrer oder andere Menschen da, mit denen ich reden konnte. Schwer war für mich, als das erste Mal jemand gestorben ist. Während der Ausbildung hatten wir aber eine gute Seminarwoche zu dem Thema. Wir haben uns intensiv mit dem Sterben anderer und dem eigenen Tod beschäftigt. Also: Wie stelle ich mir den Tod vor? Wie fühlt sich ein Sterbenskranker und wen würde ich selbst bei mir haben wollen? Nach dieser Erfahrung wurde es leichter. Im Altersheim habe ich bemerkt, dass alle Sterbenden am Ende friedlich waren. Für mich ein Zeichen, dass der Tod nicht das Ende ist. Allerdings muss jeder selbst einen Weg finden, um mit dem Sterben umzugehen.

Willst du dauerhaft Pflegerin bleiben?

Die nächsten Jahre auf jeden Fall. Dann würde ich gerne Pflegepädagogik studieren. Ich hab schon vor der Branche treu zu bleiben.

Warum?

Naja, die Pflege ist ein schöner Bereich. Sie füllt das Leben aus. Ich arbeite mit Menschen. Das ist für mich viel schöner, als Akten zu wälzen oder im Büro zu sitzen.

Trotzdem: Es gibt gravierende Missstände. Was müsste sich deiner Meinung nach ändern?

Die Grundeinstellung der Pflegenden. Wir müssen alle einsehen, dass der Job nicht alles ist und dass man sich nicht dafür kaputt machen darf. Das Problem ist, dass in der Pflege ein Menschenschlag arbeitet, der sich sehr aufopfert und versucht aus wenigen Mitteln das Beste zu machen. Das ist an sich nicht schlecht. Aber so wird sich nichts ändern. Wir müssen uns zusammenraufen und sagen: Bis hier her und nicht weiter. Was glaubt ihr, was los wäre, wenn ein Krankenhaus geschlossen streikt?

Anne Oberfeld ist „Fräulein Schwester“
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