Netzfundstück: Superhands nimmt pflegende Teenager an die Hand

Webportal und Hotline für Jugendliche und junge Erwachsene

Jugendliche stärken pflegenden Kindern den Rücken und machen Superhands bekannt (Foto: Die Johanniter/Marcella Ruiz Cruz)

Alexander kommt von der Schule nach Hause. Heute hat die Lehrerin seinen Aufsatz vor der ganzen Klasse gelobt. Stolz schließt er die Haustür auf und stürmt ins Wohnzimmer. „Papa, ich hab eine 1-2…“ Weiter kommt der Zwölfjährige nicht. Papa ist aus seinem Rollstuhl gefallen. Er liegt am Boden und rührt sich nicht. Was jetzt?

Pflege macht Jugendliche mutlos

Für Kinder wie Alexander hat Anneliese Gottwald mit zwei Kolleginnen 2012 das Portal Superhands ins Leben gerufen. Eine Website, auf der sich Kinder und Jugendliche von kranken Eltern und Geschwistern informieren, Tipps holen und austauschen können. Vorerst läuft das Projekt nur in Österreich, ein deutscher Ableger ist für Frühsommer 2016 geplant (siehe Infokasten). „Wir wollen die jungen Menschen entlasten, soweit uns das möglich ist“, sagt Gottwald. Die Kinder können eine kostenlose Hotline anrufen, um Rat bitten oder einfach erzählen. Denn der harte Pflege-Alltag fordert seinen Tribut. Laut einer österreichischen Studie sind sogenannte Young Carers oft müde, leiden unter Kopf- und Rückenschmerzen. Den Aussagen „ich mache mir oft Sorgen“ und „ich bin oft traurig“ stimmen sie deutlich öfter zu, als nicht pflegende Kinder.

Unklar, wie viele Kinder pflegen

„Tausende unter 18-Jährige pflegen Eltern, Großeltern und Geschwister“, weiß Gottwald, Pflegedienstleitung der Johanniter NÖ-Wien. In Österreich sind es etwa 42 700. Offizielle Zahlen für Deutschland gibt es nicht. Überträgt man aber die Ergebnisse der österreichischen Studie auf die Bundesrepublik, sind schätzungsweise weit mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche betroffen. „Medikamente holen, in den Rollstuhl helfen, waschen, wickeln – die Kids übernehmen oftmals alle Tätigkeiten eines pflegenden Angehörigen“, so Gottwald. Als Pflegedienstleitung des ambulanten Pflegedienstes kennt Anneliese Gottwald die Situation der Familien. Weiß, um die Ängste der Kinder und Eltern.

Oft hilft es schon, Familien miteinander zu vernetzen

„Wenn wir merken, dass ein Kind mit einer Situation überfordert ist, nehmen wir Kontakt zum Umfeld auf.“ Das können Pflegedienste, Freunde, Nachbarn, Familienangehörige oder Lehrer sein. Oft hilft es schon, Familien miteinander zu vernetzen oder einen Hinweis auf Angebote, Hilfsdienste oder finanzielle Hilfen zu geben. Laut Gottwald ist das größte Problem, dass pflegende Teenager sich nicht als solche wahrnehmen. „Sie wachsen damit auf, dass ein Elternteil ihre Hilfe braucht. Was sie dabei leisten, ist den wenigsten bewusst“, erklärt die Pflegeexpertin.

Lehrer, Nachbarn und Freunde in der Pflicht

Deshalb müssen Experten von außen eingreifen und helfen. Mit Flashmobs, Schulprojekten und Infoveranstaltungen für ambulante Pflegedienste, für Sozialämter und Familienberatungsstellen macht Superhands öffentlich auf die Brisanz des Themas aufmerksam. Gottwald betont: „Unser Ziel ist es, dass pflegende Kinder und Jugendliche sich nicht mit ihren Sorgen alleine fühlen und offen über ihre Erlebnisse sprechen können.“ Übrigens: Alexanders Familie hat auf Empfehlung von Superhands einen Pflegedienst gefunden, der nun vor Ort unterstützt. Ein Notruftelefon ist auch installiert worden! Alexanders Papa geht es zurzeit gut. Außerdem hilft Nachbarin Berta Müller der Familie und schaut nach dem Rechten, während Alexander in der Schule lernt. Mit weniger Angst.

Superhands in Deutschland
Der Start von Superhands Deutschland ist für die erste Jahreshälfte 2016 geplant. „Über eine zentrale Hotline, werden wir bundesweit Hilfe organisieren“, erklärt Projektleiter Ralph Knüttel. Seit 35 Jahren ist er für die Johanniter im Rettungsumfeld aktiv. Die Hotline, sowie eventuelle Noteinsätze sind kostenlos und werden über Spenden und Fördergelder finanziert. Knüttel erläutert: „Viele der Familien, in denen Kinder und Jugendliche feste Pflege-Aufgaben übernehmen, stehen finanziell schlecht da.“ Daher sei es der Projektgruppe wichtig, dass junge Menschen eine Anlaufstelle haben, bei der sie nicht mit hohen Kosten rechnen müssen.